Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
ihn.«
Gandalf blickte Aragorn an, und zur Überraschung der anderen hob er den verhüllten Stein auf und überreichte ihn seinem Freund mit einer Verbeugung.
»Nimm ihn entgegen, Herr«, sagte er, »als Unterpfand für vieles andere, das dir noch zurückgegeben werden soll! Aber, wenn ich dir zum Gebrauch deines Besitzes einen Rat geben darf: Gebrauche ihn nicht – noch nicht! Sei vorsichtig!«
»Wann bin ich je hastig oder unvorsichtig gewesen«, sagte Aragorn, »ich, der ich so viele Jahre gewartet und meine Vorbereitungen getroffen habe?«
»Noch nie. Darum stolpere nun auch nicht am Ende des Weges«, sagte Gandalf. »Aber halte das Ding wenigstens geheim! Du und alle, die hier stehen! Vor allem der Hobbit, Peregrin, sollte nicht wissen, wo er verwahrt wird. Seine böse Anwandlung könnte sich wiederholen. Denn leider hat er den Stein in der Hand gehabt und hineingeblickt, was nie hätte geschehen dürfen. In Isengard hätte er ihn nicht berühren sollen, und da hätte ich schneller sein müssen. Aber ich war ganz mit Saruman beschäftigt und habe nicht gleicherraten, was dies für ein Stein ist. Dann war ich müde, und als ich hier lag und über ihn nachdachte, überkam mich der Schlaf. Jetzt weiß ich’s!«
»Ja, es kann kein Zweifel mehr sein«, sagte Aragorn. »Wenigstens kennen wir nun die Verbindung zwischen Isengard und Mordor und wissen, wie sie unterhalten wurde. So erklärt sich vieles.«
»Sonderbare Kräfte haben unsere Feinde und sonderbare Schwächen!«, sagte Théoden. »Doch seit alter Zeit heißt es: Oft wird böser Wille Böses vereiteln. «
»Ja, das sieht man oft«, sagte Gandalf. »Doch diesmal haben wir ein sonderbares Glück gehabt. Vielleicht hat mich dieser Hobbit vor einem schweren Fehler bewahrt. Ich hatte überlegt, ob ich den Stein selbst erproben sollte, um herauszufinden, wozu er dient. Hätte ich es getan, so hätte ich mich ihm gezeigt. Auf eine solche Prüfung bin ich noch nicht vorbereitet – wenn ich es denn überhaupt je sein werde. Aber selbst wenn ich die Kraft gefunden hätte, mich zurückzuziehen, wäre es verheerend, wenn er mich zu Gesicht bekäme – zumindest jetzt, solange die Stunde noch nicht gekommen ist, wo Heimlichkeit uns nicht länger nützt.«
»Ich glaube, die Stunde ist gekommen«, sagte Aragorn.
»Noch nicht«, sagte Gandalf. »Es bleibt noch eine kurze Frist voller Zweifel, und diese Zeit müssen wir nutzen. Der Feind, so viel ist klar, hat gedacht, der Stein befinde sich im Orthanc – wo sollte er anders sein? Und also müsste der Hobbit dort gefangen sitzen; und um ihn zu quälen, hätte Saruman ihn gezwungen, hineinzublicken. Jetzt wird der dunkle Geist in freudiger Erwartung leben und an nichts anderes mehr denken als an die Stimme und das Gesicht des Hobbits. Es kann eine Weile dauern, bis er seinen Irrtum erkennt. In der Zeit müssen wir handeln. Wir haben zu lange getrödelt. Wir müssen weiter. In der Nähe von Isengard ist jetzt nicht gut verweilen. Ich reite mit Peregrin Tuk sofort voraus. Für ihn wird es besser sein, als im Dunkeln wach zu liegen, während andere schlafen.«
»Ich behalte Éomer und zehn Reiter bei mir«, sagte der König.»Im Morgengrauen brechen wir auf. Die übrigen sollen mit Aragorn reiten und aufbrechen, sobald sie wollen.«
»Wie Ihr befehlt«, sagte Gandalf. »Aber seht zu, dass Ihr so schnell wie möglich in den Schutz der Berge gelangt, nach Helms Klamm!«
In diesem Augenblick fiel ein Schatten auf sie. Der helle Mondschein schien plötzlich verdunkelt zu sein. Manche Reiter schrien auf, duckten sich und hielten die Arme über den Kopf, wie um einen Schlag von oben abzuwehren, von blinder Angst und tödlicher Kälte angefallen. Am Boden kauernd, blickten sie zum Himmel auf. Eine riesige geflügelte Gestalt zog über den Mond wie eine schwarze Wolke. Sie beschrieb einen Bogen und flog nach Norden, schneller als jeder Wind von Mittelerde. Vor ihr verblassten die Sterne. Und schon war sie verschwunden.
Sie richteten sich auf und standen da wie versteinert. Gandalf blickte noch immer zum Himmel, die Arme abwärts zur Seite gestreckt, stocksteif und mit geballten Fäusten.
»Nazgûl!«, rief er. »Mordors Bote. Der Sturm zieht herauf. Die Nazgûl haben den Strom überschritten. Reitet, reitet! Wartet nicht bis zum Morgen! Wartet nicht auf Nachzügler! Reitet!«
Er rannte los und rief dabei schon nach Schattenfell. Aragorn lief ihm nach. Gandalf kam zu Pippin und hob ihn auf. »Diesmal kommst du mit
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