Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
wäre gegangen«, sagte Gandalf. »Seid nicht ungerecht in Eurem Kummer! Boromir erhob Anspruch auf jene Fahrt und wollte sie keinem andern überlassen. Er war ein Mann, der seinen Willen durchsetzte und sich nahm, wonach es ihn verlangte. Ich bin weit mit ihm gereist und habe ihn gut kennengelernt. Doch Ihr sprecht von seinem Tod. Davon hattet Ihr schon Nachricht, ehe wir kamen?«
»Ich habe das hier erhalten«, sagte Denethor, legte seinen Stab nieder und nahm den Gegenstand von seinem Schoß auf, den er so lange betrachtet hatte. In jeder Hand hielt er eine Hälfte eines großen, in der Mitte zerspaltenen Horns: das mit Silber eingefasste Horn eines wilden Stiers.
»Das ist das Horn, das Boromir stets bei sich trug!«, rief Pippin. »So ist es«, sagte Denethor. »Und in meiner Jugend trug ich es, wie jeder älteste Sohn unseres Hauses seit den lang entschwundenen Jahren vor dem Erlöschen des Königshauses, als Mardils Vater Vorondil in den fernen Ebenen von Rhûn Araws wilde Rinder jagte. Von fern hörte ich es vor dreizehn Tagen an den Nordmarken blasen, und dann hat es der Strom zu mir getragen, zerbrochen: Es wird nie mehr erschallen.« Er hielt inne, und ein lastendes Schweigen trat ein. Plötzlich richtete er den düsteren Blick wieder auf Pippin. »Was sagst du dazu, Halbling?«
»Dreizehn, ja, dreizehn Tage«, stammelte Pippin. »Ja, ich glaube, das könnte stimmen. Ja, ich stand neben ihm, als er in das Horn stieß. Aber keine Hilfe kam. Nur noch mehr Orks.«
»So«, sagte Denethor und sah Pippin scharf ins Gesicht. »Duwarst also dabei? Berichte mir mehr davon! Warum kam keine Hilfe? Und wie bist du entkommen, er aber nicht, so stark, wie er doch war, und wo er nur Orks gegen sich hatte?«
Pippin wurde rot und verlor seine Scheu. »Auch der Stärkste kann einem einzigen Pfeil erliegen«, sagte er, »und Boromir wurde von vielen durchbohrt. Als ich ihn zuletzt sah, sank er an einem Baum zu Boden und zog sich einen schwarzgefiederten Schaft aus der Seite. Dann verlor ich die Besinnung und wurde gefangen genommen. Ich habe ihn nicht wieder gesehen, und mehr weiß ich nicht. Doch ich halte sein Andenken in Ehren, denn er war sehr tapfer. Er ist gestorben, weil er uns zu retten versuchte, meinen Vetter Meriadoc und mich, als uns die Söldner des Dunklen Herrschers in den Wäldern auflauerten; und dass er vergebens fiel, macht meine Dankesschuld nicht geringer.«
Dann sah Pippin dem alten Mann in die Augen, und ein merkwürdiger Stolz regte sich in ihm, angestachelt durch die Missachtung und den Argwohn, die aus Denethors kaltem Ton sprachen. »Nur geringen Wert, gewiss, wird ein so großer Fürst der Menschen den Diensten eines Hobbits beimessen, eines Halblings aus dem Auenland im Norden; doch biete ich sie Ihnen an, in allem, was ich zu tun vermag, zum Entgelt meiner Schuld.« Den grauen Mantel beiseitestreifend, zog er sein kleines Schwert und legte es Denethor zu Füßen.
Ein blasses Lächeln, wie ein kalter Sonnenstrahl an einem Winterabend, huschte über das Gesicht des alten Mannes; aber er senkte den Kopf, legte die Scherben des Horns beiseite und streckte die Hand aus. »Gib mir die Waffe!«, sagte er.
Pippin hob sie auf und reichte ihm das Heft. »Woher kommt dies?«, sagte Denethor. »Viele, viele Jahre liegen darauf. Gewiss ist dies eine Klinge, die in ferner Vergangenheit von unseren Verwandten im Norden geschmiedet wurde?«
»Sie stammt aus den Grabhügeln an den Grenzen unseres Landes«, sagte Pippin. »Aber nur böse Wichte hausen jetzt dort, und von denen würde ich ungern berichten.«
»Ich sehe, seltsame Geschichten umspinnen euch«, sagte Denethor, »und wieder einmal erweist sich, dass das Äußere eines Menschen – oder eines Halblings – trügen kann. Ich nehme deinen Dienst an. Denn mit Worten bist du nicht einzuschüchtern und führst eine höfliche Sprache, so fremd ihre Laute uns im Süden auch klingen mögen. Und keinen, der von höflicher Art ist, werden wir in den kommenden Tagen missen können, er sei groß oder klein. Leiste mir nun den Eid!«
»Nimm das Heft«, sagte Gandalf, »und sprich dem Herrn nach, wenn du dazu entschlossen bist.«
»Ich bin es«, sagte Pippin.
Der alte Mann legte sich das Schwert auf den Schoß. Pippin legte die Hand auf das Heft und sprach langsam nach, was Denethor ihm vorsagte:
»Hier gelobe ich dem Reiche Gondor und seinem Herrn und Statthalter Lehenstreue und Dienstbarkeit, im Reden und Schweigen, im Tun und Lassen, im Kommen und
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