Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
konntest ihm den Umstand nicht verbergen, dass es nicht Boromir war, der von Moria aus die Fahrt angeführt hat, und dass einer von hohem Ansehen unter euch war, der nach Minas Tirith zu kommen gedachte und der ein berühmtes Schwert besitzt. Die Menschen in Gondor denken viel über die Berichte aus alten Tagen nach; und seit Boromir fortging, hat Denethor lange gegrübelt, was der Spruch bedeuten mag, in dem von Isildurs Fluch die Rede ist.
Er ist nicht wie andere Menschen dieser Zeit, Pippin, und wie immer es sich mit der Abkunft von Vater und Sohn bei ihm auch verhalten mag, dank irgendeinem Zufall fließt das Blut von Westernis nahezu rein in seinen Adern; und ebenso auch bei Faramir, seinem zweiten Sohn, nicht aber bei Boromir, den er am innigsten geliebt hat. Er hat Weitsicht. Er kann, wenn er seinen Willen darauf richtet, vieles wahrnehmen, was im Geiste anderer Menschen vorgeht, selbst solcher, die weit entfernt wohnen. Ihn zu täuschen, ist schwer; es zu versuchen, gefährlich.
Denk daran! Denn du hast dich nun seinem Dienst verschworen. Ich weiß nicht, was es dir in den Kopf oder ins Herz gesetzt hat, es zu tun. Aber es war gut so. Ich habe dich nicht gehindert, denn die großmütige Tat sollte nicht durch kalten Ratschluss vereitelt werden. Du hast ihm ans Herz gerührt und (wenn ich das sagen darf) ihn auch ein wenig belustigt. Wenigstens kannst du dich nun in Minas Tirith frei bewegen – wenn du nicht im Dienst bist. Aber du musst das Verhältnis noch von einer andern Seite ansehn. Du unterstehst seinem Befehl, das wird er nicht vergessen. Sei weiterhin auf der Hut!«
Gandalf schwieg und seufzte. »Ach, sinnlos, zu grübeln, was morgen sein wird. Denn so viel ist sicher, morgen kommt es schlimmer als heute, und das geht noch viele Tage so weiter. Und daran kann ich überhaupt nichts mehr ändern. Die Partie ist eröffnet, und die Figuren machen ihre Züge. Eine Figur, die ich unbedingt sehen möchte, ist Faramir; er ist nun Denethors Erbe. Ich glaube nicht, dass er in der Stadt ist, hatte aber noch keine Zeit, mich zu erkundigen. Ich muss gehn, Pippin. Ich muss zu dieser Ratssitzung der Fürsten und hören, was es zu hören gibt. Aber der Feind ist am Zuge und im Begriff, sein Spiel in voller Stärke zu eröffnen. Und wahrscheinlich werden die Bauern ebenso viel zu tun bekommen wie irgendwer sonst, Peregrin, Paladins Sohn. Schleife dein Schwert, Soldat Gondors!«
Er ging zur Tür, und dort drehte er sich noch einmal um. »Ich bin in Eile, Pippin«, sagte er. »Tu mir einen Gefallen, wenn du aus demHaus gehst! Noch bevor du dich schlafen legst, wenn du nicht zu müde bist! Geh und suche Schattenfell; sieh zu, ob er gut untergebracht ist! Die Leute hier sind tierfreundlich, denn sie sind nette und gescheite Menschen, aber von Pferden verstehn sie nicht viel.«
Gandalf ging hinaus, und gleichzeitig kam ein klarer, lieblicher Glockenton von einem Turm der Zitadelle. Drei silberne Schläge schwebten in der Luft und verhallten: die dritte Stunde nach Sonnenaufgang.
Gleich darauf ging auch Pippin aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Auf der Straße schaute er sich um. Die Sonne schien nun warm und hell, und die Türme und hohen Häuser warfen lange, scharf umrissene Schatten nach Westen. Hoch in den blauen Himmel streckte der Mindolluin seinen weißen Helm über dem Schneemantel. Auf den Straßen kamen und gingen Männer in Waffen; anscheinend war der Glockenschlag das Zeichen für die Wachablösungen gewesen.
»Neun Uhr wäre es jetzt nach auenländischer Zeit«, sagte Pippin laut zu sich selbst. »Genau die rechte Zeit für ein ordentliches Frühstück am offenen Fenster in der Frühlingssonne. Wie gut ich das jetzt vertragen könnte! Ob die Leute hier auch irgendwann frühstücken oder schon gefrühstückt haben? Wann die wohl zu Mittag essen, und wo?«
Gleich darauf sah er einen schwarzweiß gekleideten Mann die schmale Straße vom Innern der Zitadelle herunterkommen. Pippin fühlte sich verlassen und beschloss, den Mann anzusprechen; aber es war gar nicht nötig. Der Mann kam auf ihn zu und blieb stehen.
»Bist du Herr Peregrin, der Halbling?«, sagte er. »Man sagt mir, du seiest in den Dienst des Statthalters eingeschworen worden. Willkommen!« Er streckte ihm die Hand hin, und Pippin nahm sie.
»Ich heiße Beregond, Baranors Sohn. Ich bin heute Vormittag nicht im Dienst, und man schickt mich, dir die Losungsworte und noch manches mitzuteilen, was du ohne Zweifel wissen möchtest. Und
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