Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
nach Westen bog, bis er in einem flimmernden Dunst verschwand, wo er dem fünfzig Wegstunden entfernten Meer zustrebte.
Pippin sah den ganzen Pelennor ausgebreitet vor sich, bis in die Ferne getüpfelt mit Gehöften und kleinen Mauern, Scheunen und Ställen, aber nirgendwo sah er Rinder oder anderes Vieh. Viele Straßen und Wege durchquerten die grünen Felder, und es herrschte reges Kommen und Gehen: Wagenkolonnen näherten sich dem Großen Tor, während andere hinausfuhren. Ab und zu kam ein Reiter herangeprescht, sprang aus dem Sattel und eilte in die Stadt. Doch der meiste Verkehr ging aus der Stadt heraus auf der Hauptstraße nach Süden, die in einem engeren Bogen als der Strom um die Berge herumführte und bald aus dem Blickfeld verschwand. Sie war breit und gut gepflastert, mit einem grünen Reitweg am Ostrand und einer Mauer dahinter. Dort galoppierten Reiter hin und her, doch die Straße selbst schien verstopft zu sein von großen Planwagen, die nach Süden fuhren. Tatsächlich aber war alles wohlgeregelt, wie Pippin bald erkannte. Die Wagen fuhren in drei Reihen: die eine, schnellere, von Pferden gezogen; eine zweite, langsamere aus großen buntbedeckten Planwagen mit Ochsengespannen; und am Westrand viele kleinere Karren, gezogen von schwer dahinstapfenden Menschen.
»Das ist die Straße zu den Tälern von Tumladen und Lossarnach,zu den Bergdörfern und dann weiter nach Lebennin«, sagte Beregond. »Dort fahren die letzten Wagen, auf denen sich die Alten und Kinder in eine Zuflucht begeben, und die Frauen, die sie begleiten müssen. Bis Mittag müssen sie alle aus dem Tor sein und die Straße freigemacht haben, so lautete der Befehl. Eine leidige Notwendigkeit.« Er seufzte. »Vielleicht werden nur wenige von denen, die jetzt getrennt werden, sich wiedersehen. Und schon immer hatten wir zu wenig Kinder in der Stadt; aber nun sind gar keine mehr da – bis auf ein paar junge Burschen, die nicht fort wollen und für die sich vielleicht irgendeine Verwendung findet. Einer davon ist mein Sohn.«
Sie schwiegen eine Weile. Besorgt spähte Pippin nach Osten, als erwartete er, jeden Augenblick Tausende von Orks sich über die Felder ergießen zu sehen. »Was ist das dort?«, fragte er und deutete in die Mitte der Anduin-Biegung. »Eine andere Stadt, oder was ist es?«
»Es war eine Stadt«, sagte Beregond, »Gondors Hauptstadt, während dies nur eine Festung war. Beiderseits des Anduin stehen dort die Ruinen von Osgiliath, das unsere Feinde vor langer Zeit eingenommen und niedergebrannt haben. Doch in Denethors Jugendzeit haben wir es zurückerobert: nicht um wieder dort zu wohnen, sondern um einen Vorposten zu errichten und die Brücke wieder aufzubauen, auf der wir Waffen hinüberbringen konnten. Und dann kamen die furchtbaren Reiter von Minas Morgul.«
»Die Schwarzen Reiter?«, sagte Pippin, und seine weit aufgerissenen Augen verdunkelten sich in neu erwachender Furcht.
»Ja, schwarz waren sie«, sagte Beregond, »und ich sehe, dass du etwas von ihnen weißt, obwohl du sie in deinen Erzählungen nicht erwähnt hast.«
»Ich kenne sie«, sagte Pippin leise, »aber ich möchte jetzt nicht von ihnen sprechen, nicht in solcher Nähe.« Er brach ab und ließ den Blick über den Fluss hinausschweifen. Alles, was er zu sehen glaubte, war ein riesiger, drohender Schatten. Vielleicht waren es die Berge am Rand des Gesichtsfelds, deren Zacken hinter den annähernd zwanzig Wegstunden diesiger Luft verschwanden; vielleicht war es nur eine Wolkenwand mit einer noch tieferen Dunkelheit imHintergrund. Aber vor seinen Augen schien das Dunkel zu wachsen und sich zu ballen, langsam, aber sicher auf den sonnigen Himmel übergreifend.
»In solcher Nähe zu Mordor?«, sagte Beregond ruhig. »Ja, dort liegt es. Wir nennen es selten beim Namen; aber immer haben wir in Sichtweite dieses Schattens gelebt. Manchmal erscheint er blasser und ferner, manchmal näher und dunkler. Nun wächst er und dunkelt, und daher wachsen auch unsere Furcht und Unruhe. Und die furchtbaren Reiter haben vor noch nicht einem Jahr die Flussübergänge zurückerobert, und viele unserer besten Mannen sind dort gefallen. Boromir war es, der den Feind vom westlichen Ufer zurückwarf; und noch immer halten wir fast die Hälfte von Osgiliath. Kurze Zeit noch. Aber nun erwarten wir dort einen neuen Angriff. Vielleicht den entscheidenden Angriff des kommenden Krieges.«
»Wann?«, fragte Pippin. »Gibt es Vermutungen? Denn letzte Nacht sah ich die
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