Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
aussprechen. Die Straße, die wir heraufgekommen sind, ist der Zugang zum Tor, drüben im Dimholt. Was aber dahinter liegt, weiß kein Mensch.«
»Kein Mensch weiß es«, sagte Théoden, »doch eine alte Legende, die heute nur noch selten erzählt wird, weiß etwas zu berichten. Wenn diese alten Geschichten wahr sind, die im Hause Eorl von Vater zu Sohn weitergegeben werden, dann führt das Tor am Fuß des Dwimorbergs in einen Geheimgang unter dem Berg zu irgendeinem vergessenen Ziel hin. Aber niemand hat mehr versucht, diesen Geheimnissen nachzuforschen, seit Baldor, Bregos Sohn, das Tor durchschritten hat und nie wieder unter Menschen gesehen wurde. Einen voreiligen Schwur hatte er ausgesprochen, als er das Trinkhorn leerte beim Gelage, mit dem Brego die neu erbaute Meduseld einweihte, und niemals nahm er den hohen Sitz ein, dessen Erbe er war.
Die Leute sagen, dass die toten Menschen aus den Dunklen Jahren den Weg bewachen und nicht dulden, dass ein Lebender ihre verborgenen Hallen betritt; doch bisweilen sehe man sie selbst als Schatten aus dem Tor treten und den Steinweg herabkommen. Dann verriegeln die Bewohner des Hargtals ihre Türen, verdunkeln die Fenster und fürchten sich. Aber die Toten kommen nur selten hervor, nur zu Zeiten großer Unruhen und wenn viele sterben müssen.«
»Doch sagt man im Hargtal«, sagte Éowyn mit leiser Stimme,v»erst vor kurzer Zeit sei in einer mondlosen Nacht ein großes Heer in seltsamem Aufzug vorübergekommen. Woher es kam, wusste niemand, aber es zog die Steinstraße hinauf und verschwand im Berg, als ginge es dort zu einer Versammlung.«
»Warum nur hat Aragorn dann diesen Weg eingeschlagen?«, sagte Merry. »Wisst Ihr denn gar nichts, das es erklären könnte?«
»Wenn er zu dir als seinem Freund nichts gesagt hat, das wir nicht gehört haben«, sagte Éomer, »dann weiß im Land der Lebenden niemand, welche Absicht er verfolgt.«
»Sehr verändert fand ich ihn, seit ich ihn zum ersten Mal im Haus des Königs gesehen habe«, sagte Éowyn, »finsterer, älter. Verblendet kam er mir vor und wie einer, den die Toten zu sich rufen.«
»Vielleicht wurde er gerufen«, sagte Théoden, »und mein Herz sagt mir, dass ich ihn nicht wiedersehn werde. Doch ein Mann von königlicher Art und hoher Bestimmung ist er. Und tröste dich damit, Tochter, denn eines Trostes scheinst du mir bedürftig in deinem Kummer um diesen Gast. Es heißt, als die Eorlingas aus dem Norden kamen und den Schneeborn aufwärts zogen, auf der Suche nach Orten für Befestigungen als Zuflucht für Notzeiten, da stiegen Brego und sein Sohn Baldor die Treppe zur Festung hinauf und kamen bis vor das Tor. Auf der Schwelle saß ein alter Mann, älter als man sagen kann. Groß und königlich schien er einst gewesen zu sein, nun aber war er verwittert wie ein alter Stein. Und für eine Steinfigur hielten sie ihn zuerst, denn er rührte sich nicht und sagte kein Wort, bis sie an ihm vorübergehen und eintreten wollten. Und dann plötzlich tönte eine Stimme aus ihm, die klang, als käme sie aus dem Erdboden, aber zu ihrem Erstaunen bediente sie sich der westlichen Sprache. Der Weg ist versperrt, sagte sie.
Da hielten sie an und betrachteten ihn näher und sahen, dass er noch lebte; aber er blickte sie nicht an. Der Weg ist versperrt, sagte die Stimme noch einmal. Er wurde von denen angelegt, die tot sind, und die Toten bewachen ihn, bis die Zeit kommt. Der Weg ist versperrt.
›Und wann wird die Zeit kommen?‹, sagte Baldor. Doch Antwort erhielt er nie. Denn der Alte starb gleich darauf und fiel vornüber;vund andere Kunde von den alten Bergbewohnern hat unser Volk nie erfahren. Doch vielleicht ist die vorhergesagte Zeit nun endlich gekommen, und Aragorn steht der Weg offen.«
»Aber wie soll ein Mensch herausfinden, ob die Zeit gekommen ist oder nicht, außer indem er sich durchs Tor wagt?«, fragte Éomer. »Und da ginge ich nicht hindurch, und wenn alle Heere Mordors auf mich einstürmten und ich allein wäre und keinen anderen Fluchtweg hätte. Ach, dass ein hochherziger Mann in dieser Stunde der Not in solche Verblendung fallen kann! Gibt es denn nicht schon genug Böses unter freiem Himmel, dass man es auch noch unter der Erde aufsuchen müsste? Krieg steht bevor.«
Er hielt inne, denn draußen gab es Lärm. Ein Mann rief laut nach Théoden und wurde von der Wache angehalten.
Gleich darauf schob der Hauptmann der Leibwache den Vorhang beiseite. »Ein Mann ist hier, Gebieter«, sagte er, »ein
Weitere Kostenlose Bücher