Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
merkte, was er tat, die Hand in der Tasche hatte. Doch in diesem Augenblick wurden Töne laut, wie von Gesang und Gelächter. Helle Stimmen erklangen im Sternenlicht. Der schwarze Schatten richtete sich auf und zog sich zurück. Er schwang sich auf das Schattenpferd und verschwand in der Dunkelheit auf der andern Seite. Frodo atmete auf.
»Elben!«, rief Sam in einem heiseren Flüsterton. »Elben, Herr Frodo!« Sie mussten ihn zurückhalten, sonst wäre er gleich aus seiner Deckung hervorgestürzt und den Stimmen entgegengerannt.
»Ja, es sind Elben«, sagte Frodo. »Am Waldende trifft man sie noch manchmal. Sie leben nicht im Auenland, aber im Frühjahr und im Herbst ziehen sie hier vorüber, wenn sie aus ihrem Land hinter den Turmbergen kommen. Und dafür bin ich ihnen dankbar. Ihr habt es nicht gesehen, aber dieser Schwarze Reiter hat genau hier angehalten und kroch schon auf uns zu, als der Gesang einsetzte. Sowie er die Stimmen hörte, hat er sich davongemacht.«
»Und was ist nun?«, sagte Sam, der viel zu aufgeregt war, als dass ihn der Reiter noch kümmerte. »Können wir nicht hingehen und die Elben sehen?«
»Hör doch, sie kommen hier entlang«, sagte Frodo. »Wir brauchen nur zu warten.«
Der Gesang kam näher. Eine helle Stimme erhob sich nun über die anderen. Sie sang in der schönen Sprache der Elben, die Frodo nur ein wenig verstand, während sie Pippin und Sam ganz fremd war. Doch die Laute verbanden sich mit der Melodie in solcher Weise, dass sie in ihren Gedanken Worte zu hören meinten, die sie teilweise verstanden. Dies war das Lied, wie Frodo es hörte:
O Königin, schneeweiß und fern
Jenseits des Westmeers, hohe Frau!
Hell leuchtest du uns Wanderern
In unsre Wälder wirr und grau.
O Elbereth! Gilthoniel!
O reiner Hauch, o lichter Quell!
Schneeweiße, unser Lied erhör’
Aus fernem Lande übers Meer!
O Sterne sonnenloser Zeit,
Von deiner Hand einst ausgestreut,
In hohen Lüften sie noch stehn
Und silbern durch die Wolken wehn.
O Elbereth! Gilthoniel!
In fernem Land, in dunklem Hain
Bleibt noch Erinnerung uns hell
Ans Westmeer unterm Sternenschein.
Der Gesang hörte auf. »Das sind Hochelben, sie haben die Sternenkönigin Elbereth angerufen!«, sagte Frodo staunend. »Nur wenige von diesem edelsten Volk hat man je im Auenland gesehen, und in ganz Mittelerde, östlich des Großen Meeres, gibt es nicht mehr viele. Wahrhaftig, ein seltsamer Zufall!«
Die Hobbits setzten sich in den Schatten am Wegesrand. Nicht lange, so kamen die Elben den Weg entlang, der ins Tal hinabführte. Langsam schritten sie vorüber, und die Hobbits sahen das Sternenlicht auf ihrem Haar und in ihren Augen schimmern. Sie trugen keine Laternen, doch während sie gingen, schien ein Licht wie das des Mondes, kurz bevor er über die Hügelkämme aufsteigt, vor ihre Füße zu fallen. Sie waren verstummt, und als der letzte von ihnen vorüberkam, wandte er sich zu den Hobbits hin, sah sie an und lachte.
»Gegrüßt seist du, Frodo!«, rief er. »So spät noch unterwegs? Hast du dich verlaufen?« Dann rief er laut die anderen herbei, und alle hielten an und versammelten sich um die Hobbits.
»Ein Wunder!«, sagten sie. »Drei Hobbits bei Nacht im Walde! Desgleichen ward nicht mehr gesehen, seit Bilbo fortging. Was hat es zu bedeuten?«
»Es hat nur zu bedeuten, ihr Schönen«, sagte Frodo, »dass wir anscheinend dengleichen Weg haben wie ihr. Ich wandere gern unter den Sternen. Doch eure Gesellschaft wäre mir willkommen.«
»Aber wir brauchen keine Gesellschaft, und Hobbits sind nicht eben lustig«, alberten sie. »Und woher willst du wissen, dass ihr den gleichen Weg habt wie wir, denn wohin wir gehen, weißt du doch nicht?«
»Und woher wisst ihr meinen Namen?«, fragte Frodo seinerseits. »So manches wissen wir«, sagten sie. »Oft haben wir dich schon
mit Bilbo gesehen, auch wenn du uns wohl noch nicht gesehen hast.«
»Wer seid ihr, und wer ist euer Fürst?«, fragte Frodo.
»Ich bin Gildor«, antwortete ihr Anführer, der Elb, der Frodo zuerst begrüßt hatte. »Gildor Inglorion aus dem Hause des Finrod. Im Exil sind wir, und die meisten von unserer Art sind schon vor langer Zeit von hinnen geschieden, und auch wir säumen hier nur noch ein wenig, bevor wir heimkehren übers Große Meer. Doch manche der Unseren leben noch im friedlichen Bruchtal. Sag, Frodo, was bewegt dich? Denn wir können sehen, dass ein Schatten der Furcht auf dir liegt.«
»O ihr Weisen!«, mischte Pippin sich ein,
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