Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
wusste nur, dass der Ring irgendwie ins Feuer geworfen werden müsste. »Die Schicksalsklüfte«, brummte er, als ihm der alte Name einfiel. »Na, hoffentlich weiß der Master, wie man sie findet, denn ich weiß es nicht.«
»Da siehst du’s!«, kam die Antwort. »Es hat doch alles keinen Sinn. Hat er doch selbst gesagt. Du bist der Trottel, der immer weiter hofft und sich schindet. Ihr hättet euch doch schon vor Tagen zusammen hinlegen und einschlafen können, wenn du nicht so stur gewesen wärst. Aber sterben wirst du trotzdem, wenn’s nicht noch schlimmer kommt. Du kannst dich ebenso gut gleich hinlegen und die Sache aufgeben. Bis auf den Gipfel kommt ihr sowieso nicht.«
»Ich komm dahin, und wenn ich nur noch Haut und Knochen bin«, sagte Sam. »Und Herrn Frodo schlepp ich da rauf, und wenn mir’s Herz und Rücken bricht. Also hör auf zu unken!«
Im gleichen Moment merkte Sam, wie der Boden unter ihm bebte, und er hörte oder spürte ein tiefes, fernes Rumoren wie von unter der Erde eingekerkertem Donner. Eine rote Flamme loderte zu den Wolken auf und erlosch gleich wieder. Auch der Berg hatte einen unruhigen Schlaf.
Die letzte Etappe ihrer Fahrt zum Orodruin kam, und sie wurde schlimmer als alles, wovon Sam je gehofft hatte, dass er es ertragen könne. Er hatte Schmerzen und war so ausgedörrt, dass er nicht mal einen Bissen Lembas herunterbekam. Es blieb auch bei Tag dunkel, nicht nur wegen der Rauchwolken aus dem Berg: Ein Gewitter schien heranzuziehen, und fern im Südosten sah man unter dem schwarzen Himmel Blitze aufleuchten. Das Schlimmste waren die Dünste in der Luft, die kaum mehr zu atmen war; ihnen wurde so schwindlig, dass sie taumelten und oft hinfielen. Und dennoch ließ ihr Wille nicht nach, und sie schleppten sich weiter.
Immer näher rückte der Berg heran, bis er, wenn sie die schwerenKöpfe hoben, massig vor ihnen aufgetürmt ihr ganzes Blickfeld ausfüllte: ein riesiger Haufen Asche, Schlacke und verbranntes Gestein, aus dem ein steilwandiger Kegel in die Wolken ragte. Bevor die Tagesdämmerung in die echte Nacht überging, waren sie kriechend und stolpernd bis an seinen Fuß gelangt.
Keuchend warf sich Frodo zu Boden. Sam setzte sich neben ihn. Zu seiner Überraschung fühlte er sich zwar müde, aber erleichtert, und sein Kopf schien wieder klar zu sein. Kein inneres Streitgespräch beunruhigte ihn mehr. Er kannte alle Gründe zu verzweifeln und wollte sie nicht mehr hören. Er wusste, was er wollte, und nur der Tod könnte ihn hindern. Er spürte keinen Wunsch und kein Bedürfnis mehr zu schlafen, sondern vielmehr, wachsam zu sein. Er wusste, dass alle Schwierigkeiten und Gefahren sich jetzt an einem Punkt zusammenzogen: Der nächste Tag würde ein Schicksalstag werden, der Tag des endgültigen Scheiterns oder Gelingens, das letzte Atemholen.
Aber wann würde er kommen? Die Nacht schien end- und zeitlos stillzustehen; die Minuten versickerten, ohne sich zu vergangenen Stunden zu sammeln, ohne eine Veränderung zu bringen. Sam fragte sich schon, ob eine zweite Dunkelheit angebrochen sei, in der es niemals Tag würde. Endlich fasste er Frodo bei der Hand. Sie war kalt und zitterte. Sein Master fror.
»Die Decke hätte ich nicht zurücklassen sollen«, brummte Sam. Er legte sich neben Frodo und versuchte, ihn mit seinen Armen und seinem Körper zu wärmen. Dann übermannte ihn doch der Schlaf, und das matte Licht des letzten Tages ihrer Fahrt fand sie Seite an Seite. Der Wind von Westen hatte sich am Tag zuvor gelegt, und nun kam ein Wind von Norden, der allmählich stärker wurde; und langsam drang das Licht der unsichtbaren Sonne in die Schatten hinab, wo die Hobbits lagen.
»Nun auf! Mit dem letzten Atem!«, sagte Sam, mühsam aufstehend. Er beugte sich über Frodo, weckte ihn sanft. Frodo stöhnte; aber unter höchster Willensanstrengung kam er schwankend aufdie Beine und fiel gleich wieder auf die Knie. Er zwang sich, den Kopf zu heben und zu den dunklen Hängen des Bergs hinaufzublicken; dann begann er auf Händen und Knien jämmerlich vorwärtszukriechen.
Sam sah ihn an, und innerlich weinte er, aber Tränen gaben seine trockenen, brennenden Augen nicht her. »Ich habe gesagt, ich trage ihn, und wenn’s mir das Genick bricht«, murmelte er, »und das tu ich jetzt.«
»Los, Herr Frodo!«, rief er. »Ich kann ihn zwar nicht für dich tragen, aber dich kann ich tragen, und ihn mit dir. Also los, sitz auf! Komm, mein lieber Herr Frodo! Du sollst ein Stück reiten. Sag nur,
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