Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Dunklen Turm selbst hinführte. Aber das Glück blieb ihnen treu, und während des ganzen Tages begegnete ihnen nichts, das lebte oder sich bewegte; und als die Nacht hereinbrach, tauchten sie in die Dunkelheit Mordors ein. Das ganze Land harrte nun brütend des heraufziehenden Sturms: Die Heerführer des Westens hatten die Wegscheide passiert und an die giftigen Wiesen des Imlad Morgul Feuer gelegt.
So also nahm das abgründige Abenteuer seinen Fortgang: Der Ring ging nach Süden, und die Heerbanner der Könige ritten nach Norden. Für die Hobbits wurde jeder Tag und jede Meile quälender als die vorigen, weil ihre Kräfte nachließen und das Land immer übler wurde. Bei Tage begegnete ihnen kein Feind. Nachts, wenn sie in einem Versteck nah bei der Straße hockten, unruhig dösend, hörten sie manchmal Schreie, Geräusche von marschierenden Stiefeln oder den Hufschlag eines brutal gespornten Pferdes. Weit schlimmer aber als all solche Gefahren war die immer näher rückende Drohung, der sie entgegengingen: der Schrecken einer Macht von unermüdlicher Bosheit, die in tiefem Sinnen hinter dem dunklen Schleier vor ihrem Thron auf sie wartete. Näher und näher kam sie, schwarz und schwärzer dehnte sie sich, als stürzten sie in die Mauer der Nacht am äußersten Ende der Welt.
Eine Schreckensnacht brach schließlich an; und während das Heer des Westens sich dem Ende der lebenden Lande näherte, kam für die beiden Wanderer eine Stunde schierer Verzweiflung. Vier Tage waren vergangen, seit sie aus der Ork-Kolonne entwischt waren, aber die Zeit lag hinter ihnen wie ein beständig nachdunkelnder Traum. Den ganzen Tag hatte Frodo kein Wort geredet; er war halb gebückt dahingetrottet, oft stolpernd, als sähe er den Weg vor seinen Füßen nicht mehr. Sam erriet, dass von allem, was sie zu leiden hatten, Frodo das Schlimmste ertrug, das wachsende Gewicht des Rings, eine Last für den Leib und eine Folter der Seele. Mit Sorge hatte Sam bemerkt, wie Frodo oft die linke Hand erhob, als wollte er einen Schlag abwehren oder seine angstvollen Augen gegen einen entsetzlichen Blick abschirmen, der in sie einzudringen versuchte. Und manchmal schlich seine rechte Hand zur Brust hinauf, krallte sich fest und wurde, wenn der Wille sich behauptete, langsam wieder zurückgezogen.
Nun, als es von neuem stockdunkel wurde, hatte Frodo den Kopf auf die Knie gelegt; seine Arme hingen schlaff herab, und die Hände lagen schwach zuckend auf dem Boden. Sam beobachtete ihn, bis die Nacht sie beide umfing und den einen vor dem andern verbarg. Er fand keine Worte mehr, um etwas zu sagen, und so überließ er sich den eigenen düsteren Gedanken. Er selbst, obwohl erschöpft und von der Furcht wie von einem Schatten begleitet, war noch nicht ganz entkräftet. Das Lembas gab ihnen etwas, ohne das sie sich schon längst zum Sterben hingelegt hätten. Es stillte den Hunger nicht, und manchmal konnte Sam an nichts anderes mehr denken als ans Essen; und er sehnte sich nach einem Stück Schwarzbrot und anderen schlichten Genüssen. Und doch hatte dieses Wegbrot der Elben eine Kraft, die sich noch vermehrte, wenn der Reisende ihm allein zusprach und es nicht mit anderer Nahrung vermengte. Es speiste den Willen und verlieh ihm eine Stärke im Erdulden und eine Macht über Muskeln und Glieder, die über menschliches Maß gingen. Doch nun war ein neuer Entschluss zu fassen. Sie konnten nicht länger dieser Straße folgen, denn sie führte nun ostwärts in den großen Schatten hinein, während der Berg, auf den sie zuhalten mussten, zu ihrer Rechten, fast genau südlich stand. Dort aber erstreckte sich vor ihnen noch immer ein breiter Streifen kahlen, dampfenden, aschebedeckten Landes.
»Wasser, Wasser!«, murmelte Sam. Sich selbst hatte er nur wenig gegönnt, und die Zunge in seinem ausgedörrten Mund kam ihm dick angeschwollen vor; doch trotz all seiner Sparsamkeit hatten sie nur noch wenig übrig, etwa die halbe Flasche, mussten aber wohl noch tagelang laufen. Schon lange hätten sie überhaupt nichts mehr gehabt, hätten sie es nicht gewagt, auf der Orkstraße zu gehen. Denn in weiten Abständen waren dort Brunnen angelegt worden, zur Versorgung der Truppen, die in Eilmärschen diese wasserlosen Gebiete durchqueren mussten. In einem davon hatte Sam einen Rest Wasser entdeckt: schal, verunreinigt von Orks, aber gut genug in ihrer verzweifelten Lage. Doch das war schon einen Tag her. Sie hatten keine Hoffnung, noch welches zu finden.
Endlich, seiner
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