Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Grübeleien müde, döste Sam ein und ließ den morgigen Tag, bis er heran wäre, auf sich beruhen; mehr konnte er jetzt nicht tun. Traum und Wachen mischten sich in unruhigem Wechsel. Er sah Lichter wie hämisch glotzende Augen, dunkle Gestalten krochen heran, und er hörte Laute wie von wilden Tieren oder wie die Schmerzensschreie gemarterter Kreaturen; und wenn er hochschreckte, war die Welt ringsum nur schwarz und leer. Nur einmal, als er aufstand und erregt umherblickte, schien ihm, obwohl er nun wach war, dass er noch immer zwei blasse Lichter wie von Augen sah; doch gleich darauf flackerten sie und waren verschwunden.Die schreckliche Nacht wollte und wollte nicht vergehen. Als es endlich Tag wurde, soweit man es so nennen konnte, brachte er nur spärliches Licht, denn in der Nähe des Berges wurde die Luft immer undurchsichtiger; und aus dem Dunklen Turm krochen die Schattenschleier, die Sauron um sich wob. Frodo lag auf dem Rücken und rührte sich nicht. Sam stand bei ihm. Es widerstrebte ihm zu sprechen, doch wusste er, dass er jetzt das Wort an Frodo richten musste: Seine Sache war es, den Willen seines Masters zu einer neuen Anstrengung zu rüsten. Er beugte sich herab, strich Frodo über die Stirn und flüsterte ihm ins Ohr.
»Wach auf, Master!«, sagte er. »Wird Zeit weiterzugehn.«
Wie von lautem Glockengebimmel aufgeschreckt, fuhr Frodo hoch, stand auf und blickte nach Süden; aber als er den Berg und das wüste Land vor sich sah, ließ er wieder den Kopf hängen.
»Ich schaff es nicht, Sam«, sagte er. »Es ist so schwer zu tragen, so furchtbar schwer!«
Schon bevor er die Worte über die Lippen brachte, wusste Sam, dass sie vergebens waren und vielleicht mehr schaden als nützen würden; aber vor Mitleid konnte er sie nicht zurückhalten. »Dann lass es mich doch ein Stück weit für dich tragen, Herr Frodo!«, sagte er. »Du weißt, ich tu es gern, solange ich noch ein bisschen Kraft habe.«
Ein böses Funkeln trat in Frodos Augen. »Bleib weg! Rühr mich nicht an!«, rief er. »Er gehört mir, sag ich dir! Verschwinde!« Seine Hand suchte das Schwertheft. Aber sogleich schlug sein Ton wieder um. »Nein, nein, Sam«, sagte er traurig. »Aber du musst es verstehen. Er ist meine Bürde, und niemand anders kann ihn tragen. Es ist jetzt zu spät, mein guter Sam. Auf diese Weise kannst du mir nicht noch einmal helfen. Ich bin nun fast in seiner Gewalt. Ich könnte ihn nicht hergeben, und wenn du versuchtest, ihn zu nehmen, würde ich wahnsinnig.«
Sam nickte. »Ich versteh«, sagte er. »Aber ich hab mir überlegt, Herr Frodo, wir haben noch andere Dinge, auf die wir verzichten können. Warum nicht die Last ein bisschen leichter machen? Wirgehen jetzt in die Richtung, so geradewegs wie möglich.« Er zeigte zum Berg hin. »Es hat keinen Sinn, etwas mitzunehmen, das wir nicht sicher noch brauchen werden.«
Frodo blickte wieder zum Berg. »Nein«, sagte er, »viel werden wir auf diesem Weg nicht mehr brauchen. Und am Ende gar nichts mehr.« Er hob seinen Orkschild auf und warf ihn weg, den Helm hinterdrein. Dann zog er den grauen Mantel aus, löste den schweren Waffengürtel und ließ ihn mitsamt Schwert und Scheide zu Boden fallen. Die Fetzen des schwarzen Umhangs riss er herunter und verstreute sie.
»So, nun bin ich kein Ork mehr«, rief er, »und eine Waffe, ob schön oder scheußlich, brauch ich auch nicht. Wenn sie mich fangen, dann soll es eben so sein!«
Sam tat es ihm gleich; er legte seine Orksachen ab und nahm alle Dinge heraus, die er im Rucksack hatte. Jedes einzelne war ihm irgendwie lieb geworden, sei es auch nur, weil er es so weit und so lange mitgeschleppt hatte. Am schwersten fiel es ihm, sich von seinem Kochgeschirr zu trennen. Die Tränen kamen ihm bei der Vorstellung, es wegwerfen zu müssen.
»Erinnerst du dich noch an die kleinen geschmorten Kaninchen, Herr Frodo?«, sagte er. »Und an unseren Platz unter der warmen Böschung in Hauptmann Faramirs Land, am Tag, als ich den Olifanten gesehn hab?«
»Nein, leider nicht, Sam«, sagte Frodo. »Immerhin weiß ich noch, dass so etwas geschehen ist, aber ich seh es nicht mehr vor mir. Kein Geschmack, kein Plätschern von Wasser, kein Windesrauschen, keine Erinnerung an Bäume, Gras oder Blumen, keine Vorstellung von Mond und Sternen – nichts bleibt mir. Ich bin nackt in der Dunkelheit, Sam, und kein Schleier ist mehr zwischen mir und dem feurigen Rad. Allmählich seh ich es nun schon mit wachen Augen, und alles andere
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