Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
gefunden! Sieh da, hier ist ein Spross des ältesten aller Bäume! Aber wie kommt er hierher? Denn er selbst ist noch keine sieben Jahre alt.«
Und Gandalf kam hinauf, sah das Bäumchen an und sagte: »Wahrhaftig, dies ist ein Sämling aus der Linie Nimloths des Schönen, und der stammte von Galathilion, und der wiederum aus einer Frucht des namenreichen Telperion, des ältesten aller Bäume. Wer könnte sagen, wie er zur vorbestimmten Stunde hierher kommt? Doch dies ist von alters her eine heilige Stätte, und bevor das Königsgeschlecht erlosch oder der Baum im Hof verdorrt war, muss eine Frucht hier in den Boden gesteckt worden sein. Denn es heißt, die Frucht des Baumes gelange zwar selten zur Reife, doch das Leben in ihr könne über viele, viele Jahre hin schlummern; und niemand kann vorhersagen, zu welcher Zeit es erwacht. Merk es wohl! Denn wenn je eine Frucht reif wird, lass sie einpflanzen, damit die Linie nicht aus der Welt verschwindet. Hier hat sie auf dem Berg verborgen gelegen, so wie Elendils Geschlecht sich in den Einöden des Nordens verborgen hielt. Doch ist Nimloths Stammbaum viel älter als deiner, König Elessar.«
Nun legte Aragorn sachte Hand an den Schössling, und siehe da,er schien nur locker im Boden zu stecken und ließ sich herausziehen, ohne Schaden zu nehmen; und Aragorn trug ihn fort in die Zitadelle. Dann wurde der verdorrte Baum ausgerodet, doch mit Ehrerbietung, und er wurde nicht verbrannt, sondern in der Stille der Rath Dínen zur Ruhe gelegt. Und den neuen Baum pflanzte Aragorn im Hof am Springbrunnen ein, wo er schnell und eifrig zu wachsen begann; und als es Juni wurde, war er schon mit Blüten beladen.
»Das Zeichen ist gegeben worden«, sagte Aragorn, »und der Tag ist nicht mehr fern.« Und er stellte Wachtposten auf die Mauern.
Es war der Tag vor der Sommersonnenwende, als Boten vom Amon Dîn in die Stadt kamen und meldeten, viele vom schönen Volk ritten von Norden heran und näherten sich schon der Pelennor-Mauer. Und der König sagte: »Endlich kommen sie! Und lasst die ganze Stadt zum Empfang bereitmachen!«
Und noch am Abend vor Mittsommer, als die Luft kühl und duftig war und der Himmel saphirblau, als die ersten weißen Sterne im Osten erschienen, während der Westen noch golden glänzte, kamen die Reiter auf der Nordstraße zum Tor von Minas Tirith. Voran ritten Elrohir und Elladan mit einem silbernen Banner, gefolgt von Glorfindel, Erestor und allem Hausvolk aus Bruchtal, von Frau Galadriel und Celeborn, dem Herrn von Lothlórien, auf weißen Rossen und begleitet von viel schönem Volk aus ihrem Land, alle in grauen Mänteln und mit weißen Edelsteinen im Haar; und als Letzter kam Meister Elrond, ein Großer unter Elben und Menschen, und er trug das Zepter von Annúminas; und neben ihm auf einem grauen Zelter ritt seine Tochter Arwen, der Abendstern seines Volkes.
Und als Frodo sie durch den Abend schimmernd daherkommen sah, mit Sternen an der Stirn und von einem lieblichen Duft umhüllt, da war er tief bewegt und verwundert und sagte zu Gandalf: »Endlich versteh ich, warum wir gewartet haben. Dies erst ist das Ende. Nun soll nicht mehr der Tag allein geliebt werden, sondernauch die Nacht wird schön und segensreich, und alle ihre Schrecken vergehen.«
Dann hieß der König seine Gäste willkommen, und sie saßen ab; und Elrond übergab das Zepter und legte die Hand seiner Tochter in die Hand des Königs; und zusammen gingen sie hinauf in die obere Stadt, und alle Sterne erglühten am Himmel. Und so vermählte sich der König Elessar am Mittjahrstag in der Stadt der Könige mit Arwen Undómiel, und die Geschichte all ihrer Mühen und ihres langen Wartens hatte ihre Erfüllung gefunden.
SECHSTES KAPITEL
VIELE ABSCHIEDE
A ls die frohen Tage schließlich vorüber waren, dachten die Gefährten an den Heimweg. Und Frodo ging zum König, der mit der Königin Arwen am Springbrunnen saß; und sie sang ein Lied von Valinor, während der junge Baum wuchs und gedieh. Sie standen auf, um Frodo zu begrüßen, und Aragorn sagte:
»Ich weiß, was du sagen willst, Frodo: Du möchtest heimkehren. Nun ja, mein Freund, der Baum wächst am besten im Land seiner Väter; doch in allen Landen des Westens wirst du stets willkommen sein. Und wenn auch dein Volk bisher in den Sagen der Menschen wenig Erwähnung fand, so wird es nun doch namhafter sein als so manches große Reich, von dem nichts geblieben ist.«
»Es stimmt, ich möchte heimkehren ins Auenland«, sagte Frodo.
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