Der Herr der Ringe
fortpflanzte. Aber langsam erstarb jedes Geräusch.
Sam schleppte sich weiter. Er spürte, dass er auf dem richtigen Weg war, und seine Stimmung hob sich beträchtlich. Er steckte den Ring weg und zog sich den Gürtel fester. »Gut, gut«, sagte er. »Wenn sie nur alle soviel Abneigung gegen mich und Stich zeigen, dann mag es besser gehen, als ich gehofft hatte. Und jedenfalls sieht es so aus, als ob Schagrat, Gorbag und Genossen mir fast die ganze Arbeit abgenommen haben. Abgesehen von dieser kleinen, erschreckten Ratte ist, glaube ich, hier keiner mehr am Leben!«
Und damit blieb er stehen, plötzlich zum Halten gebracht, als sei er mit dem Kopf gegen die Steinwand gestoßen. Die volle Bedeutung dessen, was er gesagt hatte, traf ihn wie ein Schlag. Niemand war am Leben! Wer hatte diesen entsetzlichen Todesschrei ausgestoßen? »Frodo! Frodo! Herr!«, schrie er, halb schluchzend. »Wenn sie dich getötet haben, was soll ich dann machen? Na, ich komme endlich, bis ganz nach oben, um zu sehen, was ich sehen muss.«
Hinauf und immer weiter hinauf stieg er. Es war dunkel bis auf eine Fackel dann und wann, die an einer Kehre flackerte oder neben irgendeiner Öffnung, die zu den oberen Stockwerken des Turms führte. Sam versuchte, die Stufen zu zählen, aber als er bei zweihundert angelangt war, kam er durcheinander. Er ging jetzt ganz leise; denn er glaubte Stimmen zu hören, dieirgendwo oben sprachen. Offenbar war doch mehr als eine Ratte am Leben geblieben.
Mit einem Mal, als ihm allmählich der Atem ausging und er seine Knie nicht mehr zwingen konnte, sich zu beugen, hörte die Treppe auf. Er blieb stehen.
Die Stimmen waren jetzt laut und nahe. Sam schaute sich um. Er war bis zu dem flachen Dach der dritten und höchsten Stufe des Turms gekommen: eine offene Fläche, etwa dreißig Ellen breit, mit einer niedrigen Brustwehr. Hier war die Treppe in der Mitte des Daches durch eine kleine, mit einer Kuppel versehenen Kammer geschützt, die niedrige Türen nach Osten und Westen hatte. Im Osten konnte Sam die Ebene von Mordor sehen, die riesig und dunkel unter ihm lag, und den brennenden Berg in der Ferne. Ein neuer Aufruhr tobte in seinen tiefen Schächten, und die Feuerströme loderten so grell, dass ihr Schein selbst bei dieser Entfernung von vielen Meilen die Turmspitze rot erglühen ließ. Nach Westen war die Sicht versperrt durch den Unterbau des großen Turms, der an der Rückseite dieses oberen Hofs stand und die Gipfel der umliegenden Berge hoch überragte. Licht schimmerte in einem Fensterschlitz. Seine Tür war kaum fünfzehn Ellen von Sam entfernt. Sie stand offen, war aber dunkel, und gerade aus ihrem Schatten kamen die Stimmen.
Zuerst hörte Sam nicht hin; er tat einen Schritt aus der östlichen Tür und schaute sich um. Sofort sah er, dass der Kampf hier am heftigsten gewesen war. Der Hof war übersät mit toten Orks oder ihren abgeschlagenen Köpfen und Gliedern. Der ganze Ort stank nach Tod. Ein Knurren und dann ein Schlag und ein Schrei veranlassten ihn, sich schleunigst wieder zu verstecken. Eine Stimme wurde laut vor Wut, und er erkannte sie sofort wieder, rauh, roh und kalt. Schagrat war es, der sprach, der Hauptmann des Turms.
»Du willst nicht wieder gehen, sagst du? Verflucht sollst du sein, Snaga, du kleiner Wurm! Wenn du glaubst, ich sei so lahm, dass es ungefährlich ist, mich zu verhöhnen, dann irrst du dich. Komm her, ich drücke dir die Augen raus, wie gerade bei Radbug. Und wenn ein paar neue Jungs kommen, dann rechne ich mit dir ab: zu Kankra werde ich dich schicken.«
»Sie werden nicht kommen, jedenfalls nicht, ehe du tot bist«, antwortete Snaga grob. »Ich habe dir schon zweimal gesagt, dass Gorbags Schweine zuerst zum Tor kamen, und keiner von unseren ist rausgekommen. Lagduf und Muzgasch rannten durch, aber sie wurden erschossen. Ich habe es vom Fenster aus gesehen, das sage ich dir. Und sie waren die Letzten.«
»Dann musst du gehen. Ich muss jedenfalls hierbleiben. Aber ich bin verwundet. Die Schwarzen Verliese sollen diesen dreckigen, aufsässigen Gorbag holen!« Schagrats Stimme verlor sich in einer Reihe von Schimpfnamen und Flüchen. »Ich hab’s ihm besser gegeben als er mir, aber er hat mich mitdem Messer verletzt, der Mistkerl, ehe ich ihn erwürgte. Du musst gehen, oder ich fresse dich. Die Nachricht muss nach Lugbúrz, oder wir kommen beide in die Schwarzen Verliese. Ja, du auch. Dem wirst du nicht dadurch entgehen, dass du dich hier herumdrückst.«
»Diese
Weitere Kostenlose Bücher