Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)
befreien, doch Forger ließ nicht nach, bis sie ganz aus der Erde war. Dabei beachtete er die klickenden Kiefer und die wild fuchtelnden Beine nicht. Mit lässigen Gesten in Richtung der nächsten Grashalme zog er einzelne Fäden aus den Stängeln und ließ sie auf die Spinne zuschweben. Es fühlte sich gut an, wieder Fäden zu wirken, wenn auch auf so niedrigem Niveau. Er legte der Spinne die Fäden um die Glieder und befahl ihnen dann, das Tier an den Boden zu fesseln. Bald lag die Spinne flach auf der Erde.
»Du möchtest zurück in die Dunkelheit, nicht wahr?«
Forger winkte nach oben, und das Gras zog sich zurück. Greller Sonnenschein ersetzte die Lichttupfen. Er stellte sich vor die Spinne und starrte dem verängstigten Tier in die Facettenaugen.
»Tja«, sagte er, »Schmerz ist genau das, was ich brauche. Glücklicherweise kannst du mir damit dienen.«
Er strich mit der Hand über eins der gespreizten Beine und die rauen Borsten. Die Spinne war ganz damit bedeckt, von den Beinen bis zum Kopf und auch am Bauch.
»So viele Borsten«, sagte Forger.
Und begann sie auszureißen.
Den größten Teil des Vormittags beschäftigte er sich mit der Spinne und ergötzte sich an ihren Qualen. Er ging mit Überlegung zu Werke und hielt eine Borste stets erst einen Augenblick fest, damit die Spinne wusste, was folgen würde, ehe er sie ausriss. Schließlich war sie fast kahl, und die zitternde Haut war von Blutflecken übersät. Forger hatte zum ersten Mal seit dreihundert Jahren gespeist und wuchs, bis sein Kopf gerade über das Gras ragte.
»Das ist schon besser.« Zufrieden seufzte er. »Jetzt bin ich zu groß für so ein fummeliges Ding wie dich«, sagte er zu der Spinne, wandte sich ab und ließ sie gefesselt in der prallen Sonne zurück.
Er schob das Gras zur Seite und machte sich auf den Weg zu der Hütte. Zwei kleine Jungen spielten unter einem Baum, und ihre Mutter schaute ihnen lächelnd von der Veranda aus zu. Es sah aus, als würden sie ringen, allerdings kamen dabei auch Stöcke zum Einsatz.
»Wie schön«, sagte Forger. Er duckte den Kopf unter das Gras und bemühte sich, unbemerkt zu bleiben, während er sich anschlich. Der Baum, unter dem die Jungen spielten, war leicht zu erklettern, und schnell stieg er an der dem Haus abgewandten Seite hoch. In den höheren Ästen kletterte er nach vorn und konnte die Jungen nun gut beobachten. Sie rannten herum, kehrten jedoch stets in den Schatten zurück. Er brauchte nur den richtigen Moment abzupassen. In der Zwischenzeit entflocht er die Fäden eines schweren Astes, bis nicht mehr viel fehlte, dass er brach.
Lange brauchte er nicht zu warten. Die Jungen warfen sich unter ihm übereinander, keuchten, schnauften und lachten. Er machte eine Geste in Richtung des Astes und durchtrennte den letzten Faden. Knackend löste er sich und fiel nach unten, genau im richtigen Augenblick. Die Jungen lagen übereinander, und der Ast traf sie und zerquetschte sie zu Jungenbrei.
Der Schrei der Mutter folgte wie erwartet, voller Schrecken und Unglauben. Nicht ganz das, was er jetzt brauchte. Sie kam angerannt und zerrte den Ast mit einer Kraft, die man ihr gar nicht zugetraut hätte, von ihren Söhnen. Neben den zermalmten Körper fiel sie auf die Knie. Forger spürte, wie haarfeine Risse durch ihr Herz liefen.
Nein, formten ihre Lippen lautlos. Sie versuchte, ihre Kinder aufzurichten, als könnte sie die beiden wieder zum Leben erwecken, wenn sie wieder normale Haltungen einnahmen. Langsam erreichte ihr Schmerz Forger, scharf und klar – ein Seelenschmerz, die reinste Sorte. Oh, das war gut! Sie wiegte sich hin und her, während ihre Tränen flossen, und Forger wurde mit jedem heftigen Schluchzen stärker. So bald würde sie auch nicht darüber hinwegkommen, und vielleicht gab es noch einen Vater, den dieser Schmerz in Kürze heimsuchen würde. Mit ein bisschen Glück konnte Forger in diesem Haus bleiben, bis er gesättigt war.
Er wurde schwerer, vielleicht zu schwer für seinen augenblicklichen Aussichtspunkt. Der Ast unter ihm brach und stürzte hinab, und er schrie, als er fiel und neben der schluchzenden Mutter auf den Füßen landete. Inzwischen musste er deutlich gewachsen sein, denn obwohl sie kniete und er stand, befand er sich mit ihr auf Augenhöhe.
»Damit wäre dieser Plan auch hinfällig«, sagte er.
Irgendwie brachte sie den abgebrochenen Ast mit ihm in Verbindung und streckte die Hand voller Zorn nach seiner Kehle aus. Forger zeigte nur auf ihre Füße
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