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Der Herr der Tränen

Der Herr der Tränen

Titel: Der Herr der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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Hände hochreißen mussten, um ihr Gesicht zu beschirmen. Eine zweite Explosion sprengte den Eingang wieder frei.
    Rostigan wischte sich die Augen und sah, dass Despirrow aus der Höhle auf die Brücke zulief. Sofort nahm er Anlauf und sprang ihm hinterher. Als der felsige Boden ihm entgegenflog, streckte er die Hand aus, um ihn für eine sanftere Landung etwas zu erweichen. Despirrow gestikulierte lässig über seine Schulter und machte Rostigans Zauber zunichte, sodass er mit den Füßen voran ungebremst auf den Felsgrund krachte. Er versuchte weiterzulaufen, aber sein Körper hatte eigene Vorstellungen. Anscheinend hatte etwas in einem seiner Fußgelenke nachgegeben. Er konnte Despirrow nur noch hinterherhumpeln.
    »Lass ihn nicht entkommen!« Yalenna hielt sich ihre tröpfelnde Schulter und kam den Hügel herunter.
    Despirrow erreichte die Brücke. Wenn er es auf die andere Seite schaffte, würde es im Wald sehr schwer werden, ihn zu finden. Rostigan, der seinen verletzten Fuß nachzog, beschloss, das nicht zuzulassen. Der Schmerz war da, aber er zwang ihn weg und versuchte, seinen Schritt zu beschleunigen.
    Es nutzte nichts. Schmerz und Willenskraft hatten nichts damit zu tun. Sein Fuß funktionierte einfach nicht richtig.
    Er spürte, dass Yalenna sich an ihm vorbeifädelte; ihr Ziel war ein Baum auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht. Zweifellos hoffte sie, ihn umstürzen und die Brücke so zertrümmern zu können, aber Despirrow sah, was sie vorhatte, und machte es mit einer knappen Handbewegung zunichte. Yalenna stieß einen frustrierten Ausruf aus.
    Als Rostigan die Brücke erreichte, war Despirrow bereits auf halbem Wege auf der anderen Seite, und die Lücke zwischen ihnen wurde immer größer. Er legte die Hand auf das Seil, wobei er ganz das Loch in seiner Handfläche vergaß; doch die raue Oberfläche erinnerte ihn schnell daran. Verzweifelt begriff er, dass er keine Chance hatte, die Verfolgungsjagd fortzusetzen.
    In dieser Notlage kam ihm ein Gedanke.
    Die Diebin.
    Das Pochen seiner Verletzungen machte es ihm schwer, sich auf einen passenden Reim zu konzentrieren …
    Die schwankende Brücke
über die Lücke …
    Als er das letzte Wort sprach, verschwand die Brücke.
    Despirrow stürzte mit einem Schrei in die Tiefe, auf den dahinrauschenden Fluss zu. Er würde weggespült werden und in Sicherheit sein, wenn Rostigan ihm nicht folgte … also trat Rostigan über den Rand und stürzte sich hinterher. Im Pfeifen des Windes in seinen Ohren hörte er seine eigene Stimme die Worte flüstern, die er soeben gesprochen hatte.
    Unten platschte Despirrow in den Fluss; sein Hemd blähte sich um ihn herum auf, während er in der Strömung auf und ab hüpfte. Er blinzelte sich Wasser aus den Augen und sah, dass Rostigan ihn verfolgte. Rostigan glaubte zu wissen, was als Nächstes geschehen würde. Er tat alles in seiner Macht Stehende, um sich darauf vorzubereiten, und sorgte dafür, dass er seinen gesunden Fuß vorn hielt … und einen Moment später krachte er auf die erstarrte Oberfläche des Flusses und schlitterte über unnachgiebige Wellen und durch harte Gischt. Einige Schritte entfernt ragte Despirrows Kopf aus dem reglosen Wasser. Er verfolgte ihn mit seinem Blick.
    »Ich würde sagen, das hat wehgetan«, bemerkte er. »Hm. Ich habe noch nie zuvor die Zeit in einem Fluss angehalten. Ich dachte, er würde vielleicht weiterfließen, da ich in ihm bin, aber anscheinend nicht. Tatsächlich bin ich ziemlich eingefroren!« Er wackelte mit einigen Fingerspitzen, die die Oberfläche durchbrachen, konnte aber die Hand nicht heben.
    Wenn sein zerschundener Leib noch die Kraft aufzubringen vermochte, konnte Rostigan ihm seinen närrischen Kopf abschlagen.
    Despirrow hob den Blick dorthin, wo die Brücke gewesen war. »Sie ist einfach verschwunden«, sagte er. »Nur die Diebin konnte so etwas bewirken, und ich schätze, ich habe gerade eben deine Stimme gehört, die einen Vers gesprochen hat.«
    Rostigan schnaufte und versuchte, sich mit den Ellbogen auf die Knie hochzuziehen.
    »Du hast sie getötet, nicht wahr? Salarkis hat mir davon erzählt.«
    »Ich werde … dich ebenfalls töten … Despirrow.«
    »Das denke ich nicht. Sieh dich doch an – du bist zerschunden und gebrochen.«
    Rostigan brachte sich mühsam in eine kniende Position und griff sich mit zitternder Hand auf den Rücken, nach seinem Schwert.
    »Du hast sie also getötet.« Despirrow runzelte die Stirn. »Und jetzt verfügst du anscheinend

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