Der Herr der Tränen
Schlüsse ziehen wird«, versetzte sie trocken. »Vielleicht wäre es aber tatsächlich klug, niemanden wissen zu lassen, dass du mir Bericht erstattest, denn das könnte dich in Verdacht bringen, dass der Burg nicht deine uneingeschränkte Loyalität gehört.«
»Ähm …«
»Du kannst gehen und dich im Schlafzimmer verstecken, wenn du es wünschst.«
Die Idee schien Jandryn noch verlegener zu machen, da er ziemlich rot wurde.
»Vielen Dank, Herrin. Ich werde nichts anfassen.«
Sie öffnete dem Diener, der draußen mit einem Tablett voller Speisen wartete, die Tür. Als sie das dampfende Gemüse sah, das Fleisch und den Wein, wusste sie, dass sie doch Hunger hatte. Der Diener stellte das Tablett auf den Tisch, machte eine tiefe Verbeugung und verschwand.
»Es ist alles gut«, rief sie ins Schlafzimmer. »Niemand hat deine Anwesenheit bemerkt.«
Jandryn tauchte wieder auf. Er schien immer noch verlegen zu sein.
»Ich will dir nicht dauernd sagen müssen, dass du dich setzen sollst«, bemerkte sie, während sie am Tisch Platz nahm. »Hast du Hunger?«
»Ähm … nein, Herrin.«
»Aber ich.«
Sie nahm sich von allen Speisen etwas auf ihren Teller. Während sie das tat, verrutschte ihre Bluse an der Schulter und gab den blutigen Verband dort frei. Jandryn starrte ihn entsetzt an.
»Herrin, was wurde dir angetan?«
»Was? Oh. Keine Sorge, ich werde zurechtkommen. Das habe ich mir bei meinem Zusammenstoß mit Despirrow zugezogen.«
»Dieser Hund!«
Sein plötzlicher Ärger kam ihr in diesem Moment etwas übertrieben vor.
»Man sollte ihm bei lebendigem Leib die Haut abziehen!«
»Ich gebe dir vollkommen recht«, erwiderte sie. »Man sollte ihm bei lebendigem Leib die Haut abziehen, ihn in Öl kochen und enthaupten … es spielt kaum eine Rolle, Hauptsache, dass er am Ende tot ist.«
Nachdem sie ein wenig gegessen hatte, räusperte er sich.
»Herrin, gibt es etwas, das wir tun sollten?«
»Mmh?«
»Wegen Braston?«
Yalenna tupfte sich mit einer Serviette den Mund ab. »Ich bin mir nicht sicher. Wie du es beschreibst, wissen wir nicht einmal, ob Loppolo ernsthaft erwägt, was ihm vorgeschlagen worden ist. Ich kann nicht wirklich in seine Gemächer stürmen und eine Erklärung verlangen.«
»Warum nicht?«
»Nun, zum einen würde es dich verraten.«
»Meine Herrin braucht sich um mich keine Sorgen zu machen.«
»Oh, aber das tue ich. Was, wenn ich mit deiner Hilfe mehr herausfinden kann? Es ist zweifelhaft, dass sie noch einmal in deiner Gegenwart reden werden, wenn sie den Verdacht haben, dass du für mich die Ohren aufhältst.«
»Ich bin nicht wirklich anwesend gewesen. Ich habe mich außerhalb des Raums befunden – sie wussten nicht, dass ich da war.«
»Du hast gesagt, du hättest Wachen vor Brastons Tür postiert?«
»Ja, aber Wachen an Türen sind keine Garantie für Sicherheit. Es gibt andere Wege in Räume. Fenster und … nun, ich kenne nicht alle Geheimnisse der Burg.«
Yalenna seufzte. Seltsamerweise hatte sie abermals das Verlangen, mit Rostigan zu sprechen.
»Vielleicht«, begann sie, »sollten die Wachen dann in dem Raum postiert werden.«
»Werden sie nicht die Ruhe des Königs stören?«
»Ich weiß es nicht. Sind es besonders schwatzhafte Wachen?«
Vielleicht sollte sie die Sache ernster nehmen, dachte sie. Warum tat sie es nicht? Vielleicht glaubte sie nicht wirklich, dass Loppolo einen so kühnen Schritt wagen würde, oder vielleicht war sie einfach übermüdet. Aber falls ein Anschlag auf Brastons Leben unternommen wurde und sie nichts getan hatte, um ihn abzuwenden, wie würde sie sich dann fühlen?
Mit einem Seufzen legte sie ihre Gabel beiseite.
»Also schön. Lass uns nach Braston sehen.«
Während sie durch die Flure gingen, wurde Yalenna klar, dass Jandryn beunruhigte, was er tat – seine Blicke zuckten nach links und rechts, obwohl nur wenige Menschen unterwegs waren, die sie hätten bemerken können. Er war ein Mann des Königs gewesen, Loppolos Mann, und sie hatte nicht wirklich darüber nachgedacht, wie leicht sie seine Loyalität gewonnen hatte. Sie war es lediglich gewohnt, dass Menschen ihr gehorchten, und die Wächter – zumindest die guten – hatten immer leicht Anhänger gefunden. Doch wenn sie darüber nachdachte, schuldete Jandryn ihr nicht das Geringste, und vielleicht kämpfte er mit den Entscheidungen, die er getroffen hatte.
Sie war neugierig – dieser Mann hatte genug Zeit in ihrer Gegenwart verbracht, um gesegnet zu werden, aber sie hatte
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