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Der Herr der Tränen

Der Herr der Tränen

Titel: Der Herr der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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er, »macht mir dergleichen nicht mehr zu schaffen. Durchs Leben zu gehen und alles zu fühlen, und das in einer Welt, in der es immer Schmerz geben wird, immer Elend. Sobald du eine Verletzung heilst, erwachen zehn weitere, als hätte die Heilung tatsächlich die Saat gepflanzt! Dass ich jemals gedacht habe«, er warf angewidert die Hände hoch, »dass ich daran etwas ändern könnte!«
    »Aber du nimmst immer noch Anteil. Ich kann es sehen und spüren.«
    »Deine Sinne durchdringen mich nicht.«
    »Ich spreche nicht von Fäden und Strukturen. Ich kann dich mit den Augen sehen, kann das Zittern in deiner Stimme hören.«
    Er schaute zum Himmel empor.
    »Du siehst, was mit der Welt geschieht«, sprach sie weiter. »Die Neugeborenen mit ihren verkrüppelten Gliedern, die Risse in der Erde, die seltsamen Winde und die Düfte, die sie tragen! Du weißt, dass alles zerbricht – schon bald wird es für niemanden mehr Rettung geben, ganz gleich, ob er gut oder böse ist. Das willst du nicht.«
    Seine Schultern sackten herunter. »Was kann ich tun?«
    Yalenna holte tief Luft. »Erlaube mir, dich zu segnen.«
    Er sah sie misstrauisch an. »Das kannst du nicht«, sagte er. Er griff nach einem kleinen Bündel ihrer Segnungen in der Luft, und es prallte von ihm ab. »Wir können nicht aufeinander einwirken – das war immer die Natur unserer Gaben.«
    »Nicht ohne Zustimmung«, gab sie zurück.
    »Ich glaube dir nicht.«
    »Dann kann es nichts schaden, mir zu erlauben, es zu versuchen.«
    »Mit welchem Segen würdest du mich belegen, wenn du könntest?«
    »Frieden«, log sie. »Ich kann dir Frieden geben.«
    Er zögerte, und doch wollte er, was sie anbot. Das Chaos, das er verbreitete, hatte ihn selbst erfasst. Er war eine gebrochene Kreatur, eine in sich zerrissene Mischung all seiner Ichs.
    »Du kannst mir mit einem Segen nicht schaden«, murmelte er. »Das würde gegen unsere Natur verstoßen.«
    »Wie wahr.«
    »Wie lasse … ich dich herein?«
    »Einfach so.«
    »Einfach wie?«
    »Indem du dich dafür entscheidest.«
    Er erwog ihr Angebot. »Also schön«, sagte er. »Dann segne mich. Aber wenn du mich betrügst …«
    Yalenna wartete nicht darauf, dass er seinen Satz beendete. In diesem Moment der Zustimmung war er offen für ihre Kräfte. Der Segen, den sie für ihn geschmiedet hatte, während sie sich unterhalten hatten, flog zu ihm. Er bohrte sich ihm in die Brust, und Salarkis zuckte zusammen, als sei er elektrisiert worden, als hätten sich die Fäden, die sie geschaffen hatte, in seine Struktur gegraben. Er ließ sich von dem Felsen rutschen, ging im Gras auf die Knie.
    »Was … was hast du getan?«, keuchte er. »Das ist nicht Frieden!«
    »Mitgefühl«, antwortete sie ihm. Sie ging auf ihn zu und bückte sich, um eine Hand auf seine steinige Braue zu legen. »Ich gebe dir deins zurück. Mögest du fühlen, was andere fühlen.«
    »Nein.« Die Haut um seine Augen herum legte sich in Falten. »Ich habe dir gesagt, dass du mich nicht überlisten sollst! Auch das wird mich nicht zu dem Salarkis alter Zeiten machen!«
    »Vielleicht nicht, aber es ist zumindest etwas.«
    »Es ist kein Segen, es ist ein Fluch!«
    »Es ist kein Fluch, erhöhte Wahrnehmung zu gewinnen und Verständnis. Vielleicht wirst du jetzt Anteil nehmen an deinen Mitmenschen, die in einem Sinkloch verschwinden, das Regret geschaffen hat.«
    Salarkis griff sich an die Brust. »Alles, was ich getan habe … es fällt alles gleichzeitig auf mich zurück.«
    Yalenna kniete sich vor ihn hin und vergoss Tränen für sie beide.
    »Es tut mir leid, mein Freund. Es ist nicht deine Schuld. Du bist nicht die Person, zu der du geworden bist. Glaube mir, denn ich kenne dich.«
    Dann umarmte sie ihn doch, und er umklammerte sie, zerquetschte unwissentlich ihre Schultern in seinen steinernen Händen. Sie ignorierte diesen Schmerz und überlegte stattdessen, was sie tun musste. Wie sehr sie sich wünschte, sie könnte länger mit ihm sprechen und ihn aus freien Stücken davon überzeugen. Er hatte jedoch recht – er war nicht der Salarkis alter Zeiten, Segen hin, Segen her. In seinem Innersten tobte noch das Chaos, und wer wusste, wie lange es dauern würde, bis dessen Wildheit sich seiner Stimmung bemächtigte, bis er sich ihrem Zugriff entzog. Die Zeit der Wächter musste enden. Sie konnte keine Risiken eingehen.
    Während er sich an sie lehnte, tastete sie nach einem Dolch an ihrer Taille. Er bemerkte nicht, dass sie ihn herauszog, nicht einmal, dass sie ihn

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