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Der Herr der Tränen

Der Herr der Tränen

Titel: Der Herr der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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einen Tisch und warf das Scheit nach dem Seidenrachen. Er traf die Kreatur auf der Brust und setzte sie in Brand. Der Seidenrachen bäumte sich auf, während Soldaten von allen Seiten auf ihn eindrangen und mit ihren Schwertern mühelos die Stellen durchschnitten, an denen die Seide schwarz wurde.
    Rostigan schloss sich ihnen an, während sie an dem schwelenden Rest des Seidenrachens vorbei hinaus auf den Platz drängten. Dort erwartete sie alle ein Anblick, wie er ihn in all seinen langen Jahren noch nie gesehen hatte.
    Geisterhafte Gestalten kreisten am Himmel, und unter ihnen flohen die Menschen in alle Richtungen. In der Nähe landete ein Rachen auf einer davonstürmenden Frau und schwang sich, die Frau in seinen Klauen, zurück in den Himmel. Ein anderer ging auf einen Höfling los, und dieser wich, mit zitternden, vergebens erhobenen Händen zurück.
    »Nein!«, schrie er, als die Kreatur vorstürzte, um mit ihrem reißzahnbewehrten Maul zuzubeißen. Blut quoll aus dem Hals des Höflings und durchtränkte seine prächtigen Kleider, während der Rachen ihn hochhob und grimmig schüttelte. Rote Linien breiteten sich von seinem Maul aus und erreichten die Seide.
    Die Frau klatschte auf den Boden, nachdem der Seidenrachen sie aus großer Höhe hatte fallen lassen.
    Als Rostigan aufschaute, sah er einen Rachen an der Mauer der Burg landen; er klammerte sich dort fest wie eine Fledermaus und schlug mit dem Kopf gegen ein Fenster. Das Fenster zerbarst, und drei weitere Rachen flogen durch die Öffnung hinein in die Burg.
    Zwei Fadenwirker erschienen mit Fackeln bewaffnet auf einem hohen Balkon. Von dort sandten sie glühende Fäden aus, die wie orangefarbene Blitze gen Himmel zackten. Weit über ihnen brachen die Rachen, die davon getroffen wurden, in Flammen aus.
    Weitere Soldaten quollen aus den Kasernen und der Burg auf den Platz und suchten nach einem Feind, gegen den sie kämpfen konnten – aber der Überraschungsangriff der Seidenrachen galt der ganzen Stadt, und nur wenige der Rachen waren in unmittelbarer Reichweite.
    »Was machen wir jetzt?«
    Tarzi war an seiner Seite erschienen.
    »Du gehst hinein.«
    »Nein. Ich folge dir.«
    Soldaten griffen die Seidenrachen an, die in der Nähe gelandet waren und bereits verschiedene Stadien der Röte erreicht hatten. Rostigan beobachtete, wie einer von ihnen umzingelt und bedrängt wurde. Als die Kreatur die Übermacht erkannte, schwang sie sich auf, um an anderer Stelle Unheil zu stiften.
    Die anwesenden Offiziere waren zu erregt, um echte Befehle zu erteilen. Rostigan war angewidert über ihre Schwäche.
    Beinahe ohne darüber nachzudenken, zapfte er seine Macht an.
    »Hört mir zu!«, brüllte er und verstärkte seine Stimme mit Fäden, damit ihm die Aufmerksamkeit aller, die ihn hören konnten, sicher war. »Sie haben es hier in der Stadt auf nichts Bestimmtes abgesehen; deshalb können wir ihnen nirgends mit unserer vereinten Kraft entgegentreten. Bildet einzelne Züge und verteilt euch auf die ganze Stadt! Gebt einander Rückendeckung!«
    Die Soldaten gehorchten sofort, und einzelne Trupps strebten im Laufschritt in verschiedenen Richtungen vom Platz. Rostigan stürmte hinter ihnen her. In der nächsten Straße stieß er auf einen umgestürzten Wagen und einen fliehenden Händler, auf den gerade ein Seidenrachen herabstieß. Der Mann blieb mit gebrochenem Rückgrat liegen, während Rostigan die Bestie angriff und sein Schwert so heftig schwang, dass es ihn beinahe selbst von den Füßen riss. Der Hieb durchtrennte Knochen und Seide gleichermaßen, und die zerfetzte Kreatur brach zusam-
men.
    »Irgendjemand muss das neue Lager benachrichtigen!«, rief Tarzi.
    Also folgte sie ihm noch immer. Nun, er hatte jetzt keine Zeit, mit ihr zu streiten.
    »Die werden inzwischen wissen, was los ist.«
    Er rannte weiter, versuchte einzuschätzen, in welchen Straßen, hinter welchen Gebäuden die Seidenrachen vor ihm landeten. Er kam zu einer Taverne, deren vordere Wand aufgerissen worden war und wo irgendjemand offensichtlich mit Feuer gekämpft hatte, denn aus dem Gebäude quoll jetzt Rauch. Er rannte hinein, griff nach einem umgekippten Stuhl, brach ihn über dem Knie entzwei und reichte Tarzi die Beine.
    »Zünde sie an«, befahl er. »Nimm Lumpen und Öl!«
    Während sie hinter die brennende Theke rannte, kam der rußgeschwärzte Tavernenwirt herbeigestolpert. Er schwang seinen eigenen feurigen Holzscheit gen Himmel. »Das ist richtig!«, brüllte er. »Ihr kriegt hier

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