Der Herr der Unruhe
dauert denn das noch?«
Der Chauffeur sah erst seine Herrin, dann den jungen Mann an – keiner von beiden würdigte ihn eines Blickes. »Das störrische Ding hat mir den Krieg erklärt, Donna La u ra. Ich werde Ihnen wohl ein anderes Fahrzeug besorgen müssen.«
Das Herz des Jünglings machte einen Sprung. Laura! Das also war ihr Vorname. Nein, es war ein kostbares Schmuc k stück, ein Begrüßungsgeschenk, das seiner Ankunft in der Stadt einen bittersüßen Beigeschmack verlieh. Er würde diese goldene Kette aus fünf Buchstaben im sichersten Winkel seines Gedächtnisses bewahren …
»Und was sagen Sie dazu?«
Der junge Mann erschrak. Hatte Donna Laura, die zwe i fellos aus gutem Hause stammte, da eben ihn angesprochen, den eher ärmlich gekleideten Fremden? Er deutete auf seine Brust. »Ich?«
Irgendetwas schien sie zu amüsieren. Ihr Blick blieb kühl. Und ihre Antwort klang ungeduldig, sogar ein wenig spitz. »Abgesehen von Uberto, der seine Unfähigkeit ja ei n drucksvoll unter Beweis gestellt hat, sehe ich niemanden hier, den ich sonst hätte fragen können.«
Der junge Mann sah verwirrt zu der Menschentraube hi n über, die dem Dialog aufmerksam folgte. »Nun«, begann er verlegen, »ich würde sagen. Ihr Chauffeur hat Recht.«
Das Mädchen wandte ihm ihr schneeweißes Ohr zu. Scheinbar belustigt fragte sie: »Höre ich da einen Wiener Akzent?«
»Sie haben ein feines Gehör, Donna Laura.«
Ein bezauberndes Lächeln huschte über ihre Lippen. »In Locarno hatte ich zwei Klassenkameradinnen aus Wien, deren Italienisch ganz ähnlich klang«, sagte sie in fließe n dem Deutsch – sehr zum Unwillen des Publikums –, und der Fremde passte sich ihr an.
»Sie sind in der Schweiz zur Schule gegangen?«
Donna Lauras eben noch heitere Miene wirkte mit einem Mal wieder so unnahbar wie zuvor, fast so, als habe eine innere Stimme sie zur Ordnung gerufen. »Womit hat Ube r to Recht?«
Dem jungen Mann gelang der Themenwechsel weniger leicht. Er musste das Gespräch im Gedächtnis erst zurüc k rollen, bevor ihm die passende Antwort einfiel. »Ihr Chau f feur sagte zu Ihnen, das störrische Ding habe ihm den Krieg erklärt. Genau so ist es.«
Ihre Mundwinkel zuckten. »Wie kann ein Automobil e i nem Menschen den Krieg erklären?«
»Beispielsweise, indem es sich nicht mehr starten lässt.«
»Sie wollen sich über mich lustig machen, Herr …«
»Michel. Niklas Michel. Das liegt mir fern, Donna Laura. Es gibt Personen, die einen Apparat nur scheel ansehen müssen, und schon verweigert die Maschine ihnen den Dienst. Oder schlimmer noch: Sie tut völlig unerwartete Dinge, für die sie eigentlich überhaupt nicht konstruiert ist.«
»Wenn Sie jetzt auch noch behaupten, ich wäre meinem Automobil unsympathisch, dann rufe ich die Polizei.«
»Um einen Irren in die Nervenheilanstalt zu überstellen?« Niklas Michel lächelte. »Die Mühe möcht ich Ihnen ersp a ren, Signorina. Im Übrigen ist es Ihr Chauffeur, der auf den Gefühlen des Lancia herumtrampelt. Mir ist schleierhaft, wie Sie einem solchen Grobian Ihren Wagen anvertrauen können. Es hätte nicht viel gefehlt, und das gute Stück wäre von ihm restlos zerbeult worden.«
»Das Automobil gehört meinem Vater, und außerdem sind Ubertos Wutausbrüche nur Schau. Er macht immer viel Lärm, hat aber noch nie etwas kaputt … Halt! Wo wo l len Sie denn hin?«
Der junge Mann hatte unversehens den Rückweg zu se i nem Koffer angetreten. Ohne sich umzudrehen, lüpfte er die Schirmmütze und rief: »Ich wünsche Ihnen noch einen guten Tag, Signorina.«
»Was hat er gesagt, Donna Laura?«, knurrte der Fahrer, der wohl aus dem für ihn unverdaulichen deutschen Wor t brei seinen Namen herausgefischt hatte.
»Er behauptet, du hättest die Gefühle des Automobils ve r letzt.«
Der Fahrer schnappte nach Luft. »So etwas Haarsträube n des habe ich überhaupt noch nie gehört. Ich …« Er schütte l te empört den Kopf und wandte sich dem Fremden zu. »Sie gehören in die Klapsmühle, Signore. Setzen Sie sich in den Zug und fahren Sie schnell wieder dorthin, woher Sie …«
»Uberto!«, unterbrach Donna Laura den erbosten Fahrer.
»Na ist doch wahr!«, murrte der.
»Herr Michel«, richtete sie ihr Wort wieder an den Fre m den, und sie benutzte dabei erneut die deutsche Sprache.
Der Angesprochene hatte gerade seinen Koffer aufgeh o ben und sah zu dem übers Wagendach blickenden Engel s gesicht. »Signorina?«
»Wenn Sie sich mit den Seelen von Maschinen so
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