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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Schrecken, der es ihm unmöglich machte, sich zu ihr umzudrehen. Er starrte in den Innenspiegel und sah darin ihre dunklen, herausfordernd funkelnden Augen. »Ich … äh … habe bei einem jüdischen Meister gelernt. Da muss wohl einiges abgefärbt haben.«
    Sie legte ihre Hand auf seine Schulter und drückte sie sanft. »Ich verurteile Sie nicht, Herr Michel, ganz gleich, ob Sie nun Jude sind oder ein Christ, der mit ihnen sympath i siert. Es sind dunkle Zeiten für diese Leute, und ich will sie nicht noch schwerer machen. Ihr Geheimnis ist bei mir s i cher. Aber seien Sie in Zukunft etwas vorsichtiger.«
    »Ja, Donna Laura.«
    »Und jetzt interessiert mich, ob Sie das Automobil meines Vaters besänftigen konnten«, trällerte sie unvermittelt frö h lich und ziemlich laut auf Italienisch.
    Endlich entspannte er sich. Er schloss die Augen, holte tief Luft. Eine große Ruhe überkam ihn, wie er sie meistens empfand, wenn er sich in Einklang mit einem von Me n schenhand erschaffenen Gegenstand versetzte. Leise su m mend kontrollierte er den Hebel für die Kaltstarthilfe – das noch warme Herz des Lancia brauchte fettarme Kost. Er nahm den Gang heraus und drückte außerdem das Kup p lungspedal, um dem geschundenen Anlasser nicht mehr als nötig aufzubürden. Zuletzt betätigte er den Anlasserknopf. Der bullige Achtzylindermotor sprang geradezu übermütig an.
    Auf dem Gehweg wurde gejubelt und applaudiert.
    Auch das Mädchen im Fond juchzte vor Vergnügen. »Sie sind mir ein Schelm! Wie haben Sie das gemacht, Herr M i chel?«
    Er zuckte die Achseln und suchte im Rückspiegel einmal mehr ihre wunderbaren Augen. »Ich dachte, ich hätte es Ihnen erklärt, Donna Laura.«
    Uberto trat neben die offene Fahrertür und grunzte: »Die Zündkerzen müssen nass gewesen sein. Das Benzin ist ei n fach verdunstet, während er Ihnen irgendwelchen Schwac h sinn erzählt hat, Donna Laura.«
    »So, so, und wieso ist es nicht verflogen, während du das Automobil mit Fußtritten traktiert hast?«
    »Weil der Deutsche mich unbedingt dabei stören musste.« Der Chauffeur packte den jungen Mann an der Schulter und zerrte ihn aus dem Wagen. »Genug gespielt, Bürschchen. Und jetzt mach, dass du fortkommst.«
    »Uberto!«
    »Bei allem Respekt, Donna Laura, aber es wird Ihrem V a ter nicht gefallen, wenn ich ihm von der Zudringlichkeit dieses Kerls erzähle.«
    »Aber er hat uns geholfen!«
    »Er wollte sich nur wichtig machen.« Der Chauffeur schob den jungen Mann zur Seite, setzte sich ans Steuer und knallte die Tür zu.
    Das Mädchen rutschte auf der Rückbank hinter den Fa h rersitz und kurbelte eilig das Fenster hinunter. »Ich danke Ihnen, Herr Michel.«
    Er sah verlegen zu Boden. »War nicht der Rede wert, Donna Laura.«
    »Bleiben Sie länger in unserer Stadt?«
    Er blickte wieder auf. »Kommt drauf an.«
    »Worauf?«
    »Ich muss hier was erledigen.«
    »Geschäfte?«
    Wieder ließ er den Blick sinken.
    »Wir sollten jetzt fahren«, beschied der Chauffeur, bevor einer der beiden jungen Leute noch etwas sagen konnte. Und nachdem auch er sein Fenster heruntergekurbelt hatte, fügte er an den Fremden gewandt hinzu: »Für Wichtigtuer ist bei uns kein Platz. Lass dir für deine Geschäfte nicht allzu viel Zeit.«
    Der junge Mann hob bedächtig den Kopf und sah den Fahrer aus großen braunen Augen durchdringend an. »Das habe ich nicht vor.«
    Die Scheibe wurde wieder hochgekurbelt. Uberto grinste frech und fuhr dann los. Der Lancia protestierte mit einer knallenden Fehlzündung, ließ sich dann aber doch in eine Wende zwingen, bevor er die Via Durand de la Penne hinab davonrollte. Im Heckfenster sah der junge Mann Donna Lauras ernstes Gesicht. Sie wirkte nachdenklich, fast ein wenig verstört.
    Jemand klopfte ihm auf die Schulter, dann noch einer und gleich darauf ein Dritter. Aus irgendeinem Grund schienen sich die Leute prächtig unterhalten zu haben, und nun dan k ten sie dem Narren für seine Vorstellung. Schnell löste sich die Menschentraube vor dem Bahnhof auf, und der Bes u cher aus Wien stand immer noch neben seinem Koffer und blickte in Richtung Neptun-Brunnen. Bis ihn jemand in ungläubigem Ton ansprach.
    »Nico?«
    Der Fremde fuhr herum, als hätte man ihn gerade bei e i ner verbotenen Tat erwischt. Erschrocken blickte er in das Gesicht des einzigen Passanten, der von den Schaulustigen übrig geblieben war, eines etwa gleichaltrigen jungen Ma n nes, um einen halben Kopf kleiner als der Besucher, aber kräftig, ohne dabei

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