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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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hatte sich unter die Wolken geschoben und färbte die Schaumkronen rot. Plöt z lich wurde sein Nacken steif, die Augen starrten auf einen mehrere hundert Meter entfernten Punkt im seichten Wa s ser.
    »Neptunia!«, hauchte er.
    Es war keine Fata Morgana. Jedenfalls hätte er diese B e hauptung vehement abgestritten. Unter ihm ragte weißer Marmor aus dem Meer, Ruinen nur, aber in seiner Phant a sie erwuchs daraus die mythische Stadt. Aus seiner Erinn e rung stiegen Donna Genovefas Worte auf, die ihn mit Hoffnung und zugleich mit Verzweiflung erfüllt hatten.
    »Wenn du sie wirklich liebst, dann wird das Unmögliche geschehen.« Sein Murmeln wurde vom Wind aufs Meer hinausgetragen.
    Hinter ihm ertönten Schritte. Er drehte sich um. Private Brown eilte auf ihn zu. Paul war ein mittelgroßer Afroam e rikaner aus der 45. Infanteriedivision mit einem Hang zur Schwermut, den er leider allzu oft im Alkohol ertränkte. Nico brachte den häufigen Stimmungstiefs des Kameraden ein gewisses Verständnis entgegen, weil Pauls vordringl i che Aufgabe in der Registrierung der KIAs bestand. Killed in action. Seine Liste der gefallenen Kameraden war ei n fach zu lang, um sich ein fröhliches Gemüt zu bewahren.
    »Nico«, rief der Soldat überschwänglich, bevor er ganz die Steinbrüstung erreicht hatte. »We got it!« – Wir haben’s geschafft.
    »Keine Ahnung, was du meinst, Paul.«
    »Lucas und Clark können sich die Hände reichen. Der Brückenkopf und die 5. Armee haben die Gustav-Linie durchbrochen und die Deutschen Einheiten vom Nachschub abgeschnitten. Der Highway 7 ist in unserer Hand. Nur noch eine Frage der Zeit, bis wir auch den 6er gepackt h a ben.« Er grinste, weil er glaubte, ihm sei gerade ein tolles Wortspiel gelungen.
    In Nicos Hinterkopf dämmerte etwas, das er noch nicht deutlich erkennen konnte. Er starrte erst in Pauls große weiße Augen, dann zu den marmornen Mauern im Meer und mit einem Mal glaubte er zu wissen, wohin Laura g e flohen war.
     
    Drei Tage später rollte Nico zwischen Cornedbeefdosen und Colaflaschen in Richtung Norden. Der Truck quälte sich die Albaner Berge hinauf. Sein Ziel war die Straße Nummer 7, die Rom mit Cisterna verband, das vor zwei Tagen gefallen war. Weiter östlich hatten Amerikaner und Briten die Fernstraße 6 in die Mangel genommen. Man rechnete innerhalb der nächsten Stunden mit einer Verein i gung der beiden Armeen. Der deutsche Widerstand bröcke l te an allen Linien, aber er war noch nicht endgültig gebrochen. Erst in der letzten Nacht hatte es wieder schw e re Bombardements gegeben.
    In Genzano di Roma sprang der Mechaniker von der L a defläche und bedankte sich beim Fahrer. Der Motor des Trucks brüllte auf und tuckerte mit dem gepökelten Rin d fleisch davon. Nico marschierte durch die Stadt, hinauf zum Kraterrand, der, wie er wusste, einen atemberaubenden Blick auf den »Spiegel der Diana« bot. Die dunklen Fluten des Lago di Nemi wirkten so geheimnisvoll wie ehedem.
    Er lief weiter, folgte genau dem Pfad, den er vor fast auf den Tag genau vier Jahren gegangen war. Sein Ziel: Santa Maria della Cima, die kleinste Kirche auf dem Kraterrand. Endlich erreichte er das Pfarrhaus. Das in den Hof führende Tor stand halb offen. Dahinter entdeckte er eine schwarze Limousine. Der kleine Jubilierer in seiner linken Brust stimmte einen heftigen Radau an. Seine Knie wurden weich. Voll gespannter Erwartung trat er in den Hof.
    In dem teils gepflasterten, teils mit Beeten bepflanzten Geviert herrschte Stille und das in jeder Hinsicht. Nico sah die Hauswand, einen Schuppen, alles verbunden mit einer Mauer aus Lavasteinen, aber kein schönes Mädchen oder einen kahlköpfigen Priester, nicht einmal eine Haushälterin. Er lauschte, bildete sich ein, die Wände würden sich gege n seitig das Echo von Lauras Lachen zuspielen, ganz leise nur. Wahrscheinlich war es eine Sinnestäuschung, weil er sich nichts sehnlicher wünschte, als seine Liebe endlich in die Arme zu schließen und sie nie wieder loszulassen.
    »Ist da jemand?« Er spitzte die Ohren. Niemand antwort e te. Er wiederholte seine Frage, wagte sogar ein Anheben der Lautstärke. Unvermittelt nahm er aus den Augenwi n keln eine Bewegung wahr. Er blickte zum Haus empor. War da nicht eben jemand vom Fenster zurückgetreten?
    »Signor Lo Bello!« Es fiel ihm immer noch schwer, k a tholische Geistliche mit Vater anzureden.
    Wieder blieb alles still.
    Dann hörte er plötzlich ein leises Klappern. Es kam von draußen. Rasch lief

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