Der Herr der Unruhe
schweren Herzens dem Gang alles Ird i schen anbefohlen. Das Motorrad war nur noch Schrott. N i co fehlte auch die Muße, mit dem zerschmolzenen Blech und verbogenen Stahl das Kunststück zu wiederholen, das ihm einst bei der Turmuhr des Palazzo Comunale gelungen war. Um ihn herum tobte ein erbarmungsloser Krieg, de s sen schreckliches Ausmaß er nur schlaglichtartig wah r nahm. Es sollte noch lange dauern, bis er auch nur ann ä hernd begriff, welchem Feuersturm er und die Menschen um ihn herum in den folgenden Wochen ausgesetzt waren.
Mehr als um alles andere sorgte er sich um Laura. Er hatte sie nirgends in Nettuno gefunden. Sie war wie vom Erdb o den verschluckt. Es hätte ihn stutzig machen sollen, dass Manzinis Lancia verschwunden war, aber darauf kam er erst, als es bereits zu spät war.
Die Schlacht um Anzio und Nettuno dauerte etwa vier Monate. An die fünftausend Soldaten verloren dabei im Namen der Freiheit ihr Leben. Später sollten die Historiker sich noch lange über den Sinn oder Unsinn der Operation Shingle streiten. Einige hielten die Landung der alliierten Truppen im Rücken der deutschen »Gustav-Linie« für den größten strategischen Fehler des Zweiten Weltkrieges. Aber die leuchtenden Kreuze auf dem amerikanischen Militä r friedhof in Nettuno überstrahlen jede finstere Kritik.
Dabei begann alles so viel versprechend. Nach dem ersten Vorstoß hatten die Alliierten mehr als sechsunddreißigta u send Mann sowie über dreitausend Fahrzeuge an Land g e setzt. Die deutschen Verteidiger wurden völlig überrascht, einige sogar im Schlaf. Die Verlustliste der Invasoren zäh l te »nur« dreizehn Kämpfer.
Vordringliches Ziel war, den Brückenkopf zu befestigen sowie die Eisenbahn- und Schnellstraßen nach Rom unter Kontrolle zu bringen, damit der deutsche Nachschub unte r brochen wurde. Gleichzeitig sollte durch das Ablenkung s manöver die den italienischen Stiefel zwischen Minturno und Ortona durchschneidende deutsche Verteidigungslinie geschwächt werden. U.S. Major General John P. Lucas zögerte jedoch, das Überraschungsmoment auszunutzen und schnell in die Albaner Berge vorzustoßen, um sich mit den an der Gustav-Linie kämpfenden Einheiten von Gen e ral Mark Clarks 5. Armee zu vereinigen. Lucas hielt seine Truppenstärke für zu schwach.
Für Nico bedeutete das Sichhinziehen der Kämpfe im Frühjahr 1944 vor allem eine zunehmend unerträgliche U n gewissheit. Zwischen den deutschen Bombardements hatte er tagelang nach Laura gesucht, aber weder sie noch der schwarze Lancia Astura tauchten irgendwo auf. Uberto hatte einmal gesagt, er habe ihr Fahrunterricht gegeben. Wohin um alles in der Welt konnte sie in den ersten Stu n den der alliierten Landungsoperation geflüchtet sein?
Weil eine schnelle Besserung der Situation nicht abzus e hen war, hatten die Amerikaner am 18. Februar mit der Evakuierung der Zivilisten begonnen. Kinder, Frauen und Männer wurden nach Sizilien, Kalabrien und Kampanien verschifft, wo man zu ihrem Schutz Evakuierungszentren eingerichtet hatte. Nico konnte sich nicht vorstellen, an einem anderen Ort zu sein als hier, wo sich Laura irgendwo versteckt halten musste.
Es war der 21. Februar. Nachmittag. Es nieselte. Die GIs checkten im Hafen von Anzio immer noch Menschen aus ihrer Heimat aus. Gerade galt White Anzio, was so viel b e deutete wie: »Alles klar, der Feind hält still.« Trotzdem herrschte eine überreizte Stimmung, denn der Status wec h selte zur Entnervung aller nicht selten mehrmals täglich zu Yellow Anzio – »Passt auf, es wird brenzlig!« – oder sogar Red Anzio – »Vom Himmel fällt die Hölle runter.« – und wieder zurück. Auf der engen Mole reihten sich Lastwagen, von deren Ladeflächen Dutzende Personen stiegen. Alle Wagen mussten warten, weil das vorderste Fahrzeug am Kai streikte. Nico stand nur wenige Schritte entfernt und beobachtete die Szene.
Der für die Einschiffung zuständige Sergeant, ein bulliger kleiner Italo-Amerikaner, kam fluchend die Mole heraufg e laufen. »Schaff so schnell wie möglich deine Karre hier weg, Tom«, schnauzte er den Fahrer an.
Der Mann am Lenkrad kaute auf einem Zahnstocher he r um und erwiderte ungerührt im breitesten Südstaatendi a lekt: »Kein Problem, Luke. Ich nehm den Truck auf die Schulter und schlepp ihn zum Depot zurück.«
»Dann hole gefälligst einen Abschleppwagen.«
»Die sind alle überlastet. Dauert bestimmt ‘ne Ewigkeit, bis endlich einer hier aufkreuzt. Die Mole is’n verdammter
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