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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Jeden Moment musste es das Mä d chen erreichen. Nico schrie vor lauter Verzweiflung auf. Er war zu langsam. Die Kleine verschwand hinter dem vord e ren Rad. Der Lärm auf dem Platz schwoll zu einer schrillen Kakophonie an. Mit einem Mal blieb die Walze stehen.
    Obwohl seine Beine schwer wie Blei waren, rannte Nico immer noch. Die Straßenwalze war gegen die Palme gest o ßen, die ihr nun heftigen Widerstand leistete. Aber der noch junge Baum wankte bereits. Gleich würde er fallen. Weil Nico sich mit den Hebeln und Knöpfen im Führerstand o h nehin nicht auskannte, lief er vor das Ungetüm. Innerlich wappnete er sich gegen einen grausigen Anblick. Als er unter das breite Rad spähte, sprang ihm last das Herz aus der Brust.
    »Marianna!«
    Das Kind hörte seinen Ausruf der Erleichterung nicht, a ber nur weil es taub war. Die Kleine lebte! Sie musste im letzten Moment vor dem heranrollenden Koloss nach hinten ausgewichen sein, nur um gleich darauf mit dem Rücken gegen den Baum zu stoßen. In ihrer Angst hatte sie sich einfach flach auf den Boden geworfen. Nun klemmte sie zwischen Rad und Baum, und es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis das Monstrum die Palme niederzwingen würde.
    Nico ergriff die Hände des weinenden Kindes und zog. Es schrie nur noch heftiger, rührte sich aber nicht von der Ste l le. Anscheinend hatte sich ihr Mantel unter der Walze ve r klemmt. Die Palme ächzte, als könne sie sich nicht mehr lange gegen das Ungetüm anstemmen.
    »Bitte komm!«, flehte Nico und zog abermals. Es half a l les nichts. Marianna brüllte wie am Spieß, aber sie bewegte sich nicht das kleinste bisschen. Vermutlich zerquetschte die Planierwalze ihr schon langsam die Eingeweide.
    Verzweifelt schielte er an der Maschine entlang zu Aldo. Der aus einer Platzwunde am Kopf blutende Fahrer war gerade wieder hingefallen. Von ihm war keine Hilfe zu erwarten. »Warum tust du das?«, brüllte Nico die Maschine an. Tränen verschleierten seinen Blick. Trotzig legte er die Handflächen auf den rostigen Stahl des Frontrades. »Der alte Schluckspecht mag dich ja verletzt haben, aber das ist kein Grund, ein unschuldiges Kind in den Boden zu wa l zen.«
    Ein paar Leute in der Nähe sahen sich betroffen an.
    »Lass sie leben!«, flehte Nico. Sein Kopf hing schwer herab. Die Augen waren geschlossen. Sanft verstärkte er den Druck seiner Hände.
    Das Monstrum brüllte und ächzte, als leide es seinerseits furchtbarste Schmerzen, aber es drückte immer noch gegen den Baum.
    Plötzlich begann der junge Mann leise zu summen. Ni e mand auf dem Platz hörte ihn, außer der Maschine. Abe r mals knallte es aus dem senkrecht stehenden Auspuffrohr, eine schwarze Rußwolke stieg empor, dann ruckte die Wa l ze ein kleines Stück nach hinten. Es gab in de Menge wohl keinen Einzigen, dem es in diesem Moment nicht kalt den Rücken hinunterlief, denn aus dem Ungetüm drang plöt z lich ein metallisches Stöhnen, das rasch lauter wurde.
    »Komm schnell!«, schrie Nico und zog noch einmal an Mariannas Armen.
    Und diesmal bewegte sie sich. Ihr Mantel hing jedoch immer noch fest.
    »Zieh ihn aus!«, rief Nico.
    Das Mädchen brüllte nur.
    Hastig befreite er sie aus dem roten Kleidungsstück, was gar nicht so einfach war, denn das Kind strampelte wie ve r rückt. Das Stöhnen des Ungeheuers schwoll derweil immer bedrohlicher an. Dann krachte es. Irgendetwas war zerbor s ten.
    Nico riss das Mädchen aus dem Mantel, drückte es fest an sich und rollte mit ihm zur Seite. Im nächsten Augenblick machte das Monstrum einen Satz nach vorne; wenigstens sah es so aus. Holz splitterte. Die Palme begann zu kippen. Wie toll setzte die Walze nach, rollte noch ein Stück weit auf den umgeworfenen Baum. Dann gab sie ein letztes la u tes Knirschen von sich und verstummte.
    Auf der Piazza brach Jubel aus. Menschen fielen sich um den Hals, selbst solche, die sich sonst nicht sonderlich mochten. Freudentränen flossen. Mit der allgemeinen Angst verflüchtigte sich rasch auch die lähmende Starre. Inzw i schen waren von dem Spektakel wohl an die hundert Mä n ner, Frauen und Kinder angezogen worden, die nun schei n bar in geschlossener Formation auf das Mädchen und ihren Retter zustürmten. Nicos Beschützerinstinkt schlug erneut Alarm. Er drückte die kleine Marianna noch fester an sich und kämpfte sich mit ihr auf die Beine. Dabei streifte sein Blick die zerklüftete Nordfront des Manzini-Anwesens. Im obersten Fenster des alten Rundturmes stand Laura und sah zu ihm

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