Der Herr der Unruhe
Überr a schend geschickt wich er dabei einem fast zu spät bemer k ten Tischchen aus, auf dem eine unterbrochene Schachpa r tie in Wartestellung lauerte. Mit einem leisen Seufzer kam er vor dem Bett des Walzenbändigers zum Stehen. Er wagte diesen kaum anzublicken.
»Signor Michel«, begann er noch einmal. »Wir kennen uns ja schon. Ich bin Uberto Dell’Uomo, Fahrer und Mä d chen für alles bei Don Massimiliano. Der schickt mich auch zu Ihnen.«
»Der Vater von Donna Laura?« Nico wusste selbst nicht, warum er diese überflüssigste aller Fragen stellte.
Der Chauffeur nickte. »Der Stadtvorsteher würde sich freuen, wenn Sie ihm die Ehre Ihres Besuches erwiesen. Er möchte Ihnen für Ihre heutige Heldentat Dank sagen und ein wenig mit Ihnen plaudern.«
»Mit mir?«
»Nun … ja!«
Anstatt zu triumphieren, glaubte Nico, sein Herz würde gefrieren. Der Mörder seines Vaters lud ihn zu einem Pla u scherl ein. Sein Blick huschte zu Bruno hinüber, der mit grimmiger Miene hinter dem Hünen stand und sich mit dem gestreckten Zeigefinger über die Kehle fuhr. Nico holte tief Luft.
»Teilen Sie dem Stadtvorsteher bitte mit, dass ich mich unpässlich fühle.«
Uberto stand vornübergebeugt vor dem Helden und schien zu einer Wachsfigur zu erstarren. Zurückweisung gehörte augenscheinlich nicht zu den Erfahrungen, die ihm als Boten in Manzinis Diensten geläufig waren. »Nun«, druckste er schließlich, »da gibt es noch eine andere Nac h richt, die ich Ihnen überbringen soll. Donna Laura …«
Nico horchte auf. »Ja?«
»Sie bat mich, Ihnen auszurichten, dass Sie Ihre heutige Tat sehr couragiert und … Verdammt! Jetzt habe ich das andere Wort vergessen.«
»Sonderbar?«, schlug Bruno aus dem Hintergrund vor. Nico verdrehte die Augen.
»Edelmütig!« Uberto spuckte das hängen gebliebene A d jektiv förmlich aus, nachdem er sich mit der flachen Hand auf die Stirn geschlagen hatte. »Das war das Wort. Sie meinte, wie Sie die kleine Marianna Grilli gerettet haben, das war ›edelmütig und ritterlich‹.«
»Das hat sie gesagt?«
»O ja! Und …«
Nicos Kopf schob sich nach vorne, aber der Chauffeur schien abermals an einer Sprachverstopfung zu leiden. »Und?«
»Mir hat Ihr Mumm auch gefallen, Signor Michel. Ich hab Sie wohl falsch eingeschätzt, als ich Sie da neulich a n schnauzte.«
Nico konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Er reichte dem Chauffeur die Hand. »Schwamm drüber, Si g nor Dell’Uomo.«
Uberto schlug ein und nutzte die Gelegenheit, um dem Walzenbändiger gleich auf die Beine zu helfen. »Wollen Sie nicht doch mitkommen, Signor Michel? Nicht dass ich Sie mit meinen Sorgen belasten will, aber Don Massimili a no dürfte ziemlich ungemütlich werden, wenn ich ihm eine Absage überbringe.«
»Wann wollte der Stadtvorsteher mich denn sprechen?«
»Na, jetzt, sofort.«
Wieder wechselten die beiden Freunde einen raschen Blick. Tausend Erinnerungen schossen Nico durch den Kopf: das in vielen Albträumen eingebrannte Bild vom sterbenden Vater, die gefühlsentleerten Gespräche der Pol i zisten in Davides zum Schlachthaus verkommener Wo h nung, aber auch der Jasminduft von Donna Lauras Parfüm und ihr nachdenkliches Gesicht, als sie am Morgen vom Turm auf ihn herabgeschaut hatte. Alles war irgendwie mit Manzini verknüpft.
»Signor Michel?« Ubertos Stimme tastete sich zaghaft in Nicos Bewusstsein vor.
»W-was?«
»Werden Sie mich begleiten?«
Nico schöpfte tief Atem und nickte. »Also gut, ich ko m me mit.«
Draußen empfing sie der Sturm mit Heulen und Rege n schauern. Allein Ubertos monolithischer Körper schützte Nico davor, völlig durchnässt zu werden. Einen Schirm zu benutzen wäre sinnlos gewesen, so heftig tobte das Gewi t ter. Während die beiden Männer von Brunos Wohnung zum Gassenlabyrinth der Altstadt hinabstiegen, fragte sich Nico wiederholt, ob er diesen nächtlichen Ausflug überleben würde, und daran waren nicht allein die Blitze schuld.
Endlich erreichten sie den schwarzen Lancia. Uberto riss den hinteren Schlag auf, Nico sprang in den Wagen, und die Tür flog wieder zu.
»So schnell sehen wir uns wieder, mein Lieber«, murme l te er und tätschelte vertraulich die Lehne des Beifahrersi t zes.
Der Chauffeur schlug sich derweil gegen heftige Windb ö en bis zu seinem Einstieg durch und erreichte ebenfalls u n versehrt den schützenden Käfig der Fahrgastzelle. »Bei dem Wetter jagt man keinen Hund vor die Tür«, schimpfte er.
»Vielleicht sollte das
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