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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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unserem
    Land«, sagte der Beamte zu Nico, noch ehe er sich an Johan wandte.
    Der Junge war es nicht gewohnt, einem Erwachsenen vorgezogen zu werden. Unsicher nahm er das Visum entgegen. »Danke.«
    »Nun zu Ihnen, Herr Mezei«, sagte Signor Biondi in amtli-
    chem Ton.
    »Stimmt etwas nicht?«, fragte Johan ahnungsvoll. Er wirkte noch verletzlicher als sonst.
    »Laut Ihren Personaldokumenten sind Sie Hebräer … verzei-
    hen Sie, ich meinte Jude. Das ist doch richtig, nicht wahr?«
    »Wenn Ihre Frage darauf abzielt, ob ich inzwischen zum Ka-tholizismus konvertiert bin, dann lautet die Antwort: Ja.«
    Signor Biondi rückte mit dem Mittelfinger die Brille auf seiner 249
    Nase zurecht. »Sie bekennen sich jetzt zum Christentum?« Er klang überrascht.
    »Ich habe nur Ihre Frage beantwortet. Ja, ich bin Jude.«
    Im Kopf von Signor Biondi nahm alles wieder seinen ange-
    stammten Platz an, dem entspannten Gesichtsausdruck war es anzusehen. »Na, dann darf ich Ihnen mitteilen, dass der italienische Staat Ihren Antrag auf ein Einreisevisum negativ beschieden hat.«
    »Er hat ihn abgelehnt? « Johan sah aus wie jemand, der die Welt nicht mehr verstand.
    »Aber Sie haben doch mir ein Visum ausgestellt«, mischte
    sich Nico in die Amtshandlung. »Wieso verweigern Sie den Mezeis …«
    »Junger Mann«, unterbrach ihn streng der Beamte. »Ich wiederhole es gerne noch einmal ganz langsam zum Mitschreiben: Sie sind Christ, Ihr Begleiter dagegen Jude. Bis Ende August durften die Botschaften noch Touristenvisa für ausländische Juden ausstellen. Jetzt nicht mehr. Mit Wirkung vom 7. September 1938
    hat der Duce sogar ein Dekret erlassen, demzufolge sämtliche ausländische Juden aus Italien auszuweisen sind. Tut mir Leid.«
    »Wer’s glaubt!«
    »Zügeln Sie sich, junger Mann! Ich tue hier nur meine Pflicht.
    Und nun machen Sie bitte beide den Schalter frei.«
    »Aber meine Frau ist Italienerin.«
    Signor Biondi seufzte. »Herr Mezei. Meinen Unterlagen zu-
    folge ist Frau Lea Mezei, Ihre Gemahlin, österreichische Staatsbürgerin … Nein.« Er lachte affektiert. »Jetzt haben Sie mich doch tatsächlich aus dem Konzept gebracht. Österreich ist ja jetzt die Ostmark. Also, hätten Sie und Ihre Frau gültige Personaldokumente eingereicht, dann wären Sie jetzt Bürger des Deutschen Reiches.«
    »Dann haben Sie nicht genau hingeschaut. Lea ist eine geborene Ticiani, und sie hat in Italien nie ihre Ausbürgerung bean-tragt. Sie können ihr und damit auch mir als ihrem Mann nicht die Einreise in ihr Heimatland verweigern.«
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    Offenbar wich dieser Fall vom üblichen Schema ab. Signor Biondi wirkte mit einem Mal verstört. Nervös blätterte er in seinen Unterlagen und murmelte: »Tatsächlich.«
    »Sie dürfen ihnen das Visum nicht verweigern«, beschied
    Nico.
    Der Beamte hob den Blick. »Werter Herr Michel. Darüber ent-scheidet immer noch das italienische Recht. Ich muss den Fall prüfen lassen.«
    »Sollen wir noch einmal wochenlang warten?«, klagte Johan.
    »Sie müssen doch auch mitbekommen haben, was hier los ist.«
    »In die inneren Angelegenheiten unseres Gastlandes mischen wir uns nicht ein, Herr Mezei …« Signor Biondis Gesicht blieb ausdruckslos, aber seine Augen musterten den Antragsteller ungewöhnlich lang. Plötzlich schien in ihm etwas aufzubrechen. Er beugte sich vor und flüsterte: »Ich könnte Ihnen einen Vorschlag machen. Beantragen Sie einfach ein Transitvisum.«
    »Wie bitte?«
    »Wenn Sie erklären, nur nach Italien einreisen zu wollen, um von dort mit dem Schiff in einen anderen Staat zu emigrieren, dann bekommen Sie ein zeitlich begrenztes Visum. Sobald Sie bei Ihren Verwandten sind, schildern Sie den Behörden dort schrift-lich ihren Fall und beantragen eine unbefristete Aufenthaltsge-nehmigung.«
    Johan war sprachlos. Hatte Mitleid die Kruste der Schreiber-seele gesprengt oder lediglich das Bedürfnis, die lästigen Bittstel-ler loszuwerden?
    Nico streckte die Hand vor. »Kann ich bitte die Formulare haben?«

    »Wann soll’s denn losgehen?«, fragte der letzte Kunde. Die amtliche Ladenschlusszeit war bereits überschritten, als er endlich auftauchte, um seine Repetieruhr abzuholen.
    »Ich habe in den letzten Tagen so viele Dinge gleichzeitig erledigen müssen. Heute ist Mittwoch, oder?«
    Der letzte Kunde nickte. »Ja, der 9. November.«
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    »Dann also übermorgen.«
    »Das ist gut.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Die Zeiten sind düster geworden für Menschen wie Ihren
    Meister und seine Frau.«

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