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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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unter einem Dach haust«, konterte derweil die Reitpeitsche.
    »Es sind nur zwei. Und ihr Pflegesohn. Die Wohnung ist im dritten Stock. Ihr könnt sie nicht verfehlen«, hielt die Denunziantin dagegen. Offenbar hatte sie mit ihrer letzten Information auf die Mesusa angespielt, die kleine Pergamentrolle am rechten Türpfosten.
    Das nervtötende Organ des Dünnen intonierte ein näselndes Danke. Dann befahl er seine Truppe ins Haus.
    »O Ewiger, beschütze uns!«, hauchte Lea.
    »Wir müssen die Wohnungstür verrammeln«, stieß Johan
    hervor.
    »Nein«, wiedersprach Nico. »Der Dicke könnte sie ganz allein einrammen. Nehmt, was ihr packen könnt, und kommt.« Er lief in Richtung Flur.
    Johan schnappte sich einen Pappkoffer, in dem er wichtige Habseligkeiten verstaut hatte, und lief hinterher. »Wo willst du hin?«
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    »Auf den Dachboden.«
    »Aber da sitzen wir in der Falle.«
    »Hier etwa nicht?« Nico öffnete leise die Tür zum Treppenhaus. Von unten drang lautes Gepolter herauf. Die Meute näherte sich schnell. Er winkte das Ehepaar nach oben und flüsterte:
    »Keinen Laut!«
    Lea klammerte sich an eine Aktentasche mit Dokumenten und konnte vor Angst kaum laufen. Johan ergriff ihren Arm, um sie zu stützen. Nico schloss behutsam die Tür und huschte ihnen hinterher. Kaum hatte er das nächst höhere Treppenpodest erreicht, trafen auch schon der Dünne und sein massiger Begleiter im Stockwert darunter ein.
    Die näselnde Stimme rief: »Da links, Horst. Siehst du das Goldding? Das muss der Koben von den Juden sein.«
    Der Dachboden lag nur zwei Aufgänge höher. Als Nico das
    vierte Geschoss erreichte, öffnete sich eine Tür. Ein untersetzter Mann Mitte dreißig in gestreiftem Schlafanzug erschien. Es war Herr Grimschitz, der die schönen Künste liebte. Aus großen Augen sah er den Jungen an, der den Zeigefinger an die Lippen legte und an ihm vorüberschlich.
    Während zwei Stockwerke tiefer der Mob die Wohnungstür
    aufbrach, erreichte Nico endlich den Dachboden, wo Johan und Lea ihn erwarteten.
    »Warum seid ihr nicht auf der Bühne?«, wisperte er.
    »Die Tür ist abgeschlossen, und ich habe den Schlüssel vergessen«, antwortete Johan sichtlich verzweifelt.
    Obwohl er am Wort seines Meisters nicht zweifelte, drückte Nico trotzdem die Klinke. Kein Zweifel, die Tür war zu. Von unten drang das Geräusch berstender Möbel herauf.
    »Sie werden uns alle umbringen«, wimmerte Lea. Schon waren im Hausflur wieder Schritte zu hören.
    »Die Bluthunde haben die Witterung aufgenommen«, flüsterte Johan.
    Nico summte. Seine Rechte lag dabei auf der Türklinke, die andere Hand über dem Schloss.
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    »Was tust du da?«, raunte Johan. Die Schritte hatten den vierten Stock erreicht.
    »Lass ihn! Das weißt du doch ganz genau«, zischte Lea.
    Nico setzte sein »Gespräch« mit dem Schloss fort. Es war, wie er feststellen musste, ein sehr störrischer alter Mechanismus.
    »Machen Sie, dass Sie fortkommen. Wir wollen unseren Frieden haben?«, tönte von unten Grimschitz’ Stimme herauf.
    »Horst«, antwortete der Dünne. Einen Herzschlag später klappte eine Tür. »Komm«, fügte die Reitpeitsche hinzu.
    Die Stufen knarzten unter dem Fleischberg. Sie kamen langsam, aber stetig näher.
    Mit einem Mal drang ein leises Knacken aus dem Schloss.
    Nico drückte die Klinke herab und öffnete die Tür. »Schnell, hinein!«
    Johan und Lea reagierten sofort. Hinter ihnen huschte Nico auf den Dachboden, schloss leise die Tür und begann erneut zu summen. Diesmal reagierte der betagte Mechanismus schneller. Nico ließ erleichtert die Hand sinken und beugte sich zum Schlüsselloch hinab, durch das ein dünner Lichtstrahl fiel.
    »Wenn ich dich nicht kennen und es mit eigenen Augen sehen würde, ich täte es nicht glauben«, sagte Johan.
    »Pscht!«, machte Nico. »Sie kommen.«
    Die Reitpeitsche Toni, der massige Horst und mindestens ein Dutzend anderer Randalierer wogten gegen die Tür.
    »Wir müssen uns verbarrikadieren!«, raunte Nico und deutete auf einen alten Schubladenschrank mit Marmorplatte zu seiner Linken. »Schaffen wir die Kommode her.«
    Mit vereinter Anstrengung schoben sie das schwere Möbel
    über die Bodenbretter. Das dabei entstehende Geräusch war eigentlich unüberhörbar, aber die Aufmerksamkeit im Treppenhaus konzentrierte sich offenbar gerade auf anderes. Die Tür erzitterte unter einem gewaltigen Schlag. Der menschliche Rammbock
    Horst hatte sich ans Werk gemacht.
    »Noch zwei oder drei solche Hiebe, und

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