Der Herr der Unruhe
umeinander. Was sollte das?
Handelte Manzini mit dem Zeug? Denkbar wäre es. Er besaß
ja viele Firmen, wenngleich er bei kaum einer als Inhaber in Erscheinung trat. Wenn Waffen auf seinen Listen ständen, dann hätte Nico ihn als Kriegsgewinnler abgestempelt, aber selbst das war wohl nicht verboten. Enttäuscht ließ er sich in die Lehne zu-275
rücksinken. Nein, er hatte nichts in der Hand, um sofort gegen seinen Kontrahenten loszuschlagen. Wohl oder übel würde er warten müssen, bis sich die politische Großwetterlage im Land änderte. Hoffentlich passierte es bald. Und hoffentlich mussten nicht so viele Unschuldige darunter leiden.
Die Ewige Stadt lebte nun in ständiger Angst. So ganz konnten die Beteuerungen der Kriegführenden, dass sie den Schutz der römischen Kulturschätze vor ihre strategischen Erwägungen stellten, nicht stimmen. Am 13. August 1943 wurde ein weiterer schwerer Angriff auf Rom geflogen, und es sollte nicht der letzte bleiben.
Trotzdem hatte sich für Nico bis dahin einiges verändert, das ihm neuen Mut einflößte.
Das verheerende Bombardement von San Lorenzo, in dem
an die dreitausend Menschen ums Leben gekommen waren und
nicht weniger als zehntausend verletzt wurden, hatte Benito Mussolinis bereits im Sinken begriffenen Stern zum Absturz gebracht. Er selbst weilte in Verona, während seine Untertanen starben, um sich mit Hitler über Abwehrmaßnahmen gegen die nächsten Angriffe der Alliierten zu beraten. Bei seiner Rückkehr in die Hauptstadt musste er sich vor dem Großrat des Faschismus für die militärische Krise verantworten. Nach einer stürmischen Debatte sprachen die Gefolgsleute ihrem Führer das Misstrauen aus. König Vittorio Emanuele III. ließ den Duce am 25. Juli unter militärischen Gewahrsam stellen und rief Marschall Pietro Badoglio auf, eine neue Regierung zu bilden.
Schon kurz nach Amtsantritt des neuen Ministerpräsidenten zeichnete sich ab, dass der alte Machtapparat demontiert werden sollte. Unter dem Duce selbst noch Generalstabschef, machte Badoglio sich jetzt mit militärischer Zähigkeit daran, sämtliche faschistischen Organisationen zu liquidieren. Nur im Kampf gegen die Invasoren schien er nicht klein beigeben zu wollen. Was zu-nächst wie die bockbeinige Zähigkeit eines alten Frontkämpfers aussah, entpuppte sich jedoch bald als Kriegslist. Während in ganz Italien noch die Friedensdemonstrationen im Gange waren, 276
hatte er seine Vertreter nach Lissabon geschickt, um mit den Alliierten einen geheimen Handel abzuschließen, deren Klauseln erst nach und nach an die Öffentlichkeit drangen. Nach dem 3.
September verbreitete sich bald das Gerücht, ein Waffenstillstand sei geschlossen worden.
»Soll ich immer noch warten?«, fragte Nico den Mönch, der ihm in den letzten Monaten mehr als andere ein Ratgeber in kniffligen Fragen geworden war. Sie hatten sich zu einem Sonn-tagabendspaziergang durch die Vatikanischen Gärten verabredet.
jetzt saß Lorenzo Di Marco neben ihm auf einer Steinbank und wirkte sehr nachdenklich.
Das Gesicht des Benediktiners war immer noch so jugendlich wie vor elf Jahren, aber seine Augen sahen müde aus. Er wiegte den Kopf hin und her. »Ich bin kein Prophet, mein Freund. Der Moment scheint günstig. Günstiger denn je, das will ich nicht abstreiten …« Seine Stimme entschwebte gleichsam mit dem
Abendwind.
»Aber?«, hakte Nico nach.
»Der Krieg ist noch nicht zu Ende.«
»Die Leute behaupten, es hätte seit vorgestern auf unserem Territorium keine Gefechte mehr gegeben.«
Lorenzo lächelte matt. »Das ist eine viel zu kurze Zeit.«
»Aber ich muss endlich etwas tun. So wie der Marschall mit eisernem Besen unter den Faschisten kehrt, ist Manzini vielleicht längst entmachtet. Ich werde dafür sorgen, dass er sich vor Gericht für seine Taten verantworten muss.«
»Viel Glück, mein junger Freund. Darf ich dir einen Rat
geben?«
Nico schürzte die Lippen. Dann zuckte er die Achseln.
»Ich bin nur ein Mönch, allerdings einer, der den Vorzug
genießt, Einsicht in Dinge zu haben, die den meisten Augen verborgen bleiben. Das ist nicht immer angenehm, aber jetzt diene ich schon dem zweiten Papst und habe dabei so allerlei Erfahrung gesammelt.«
Nico nickte. »Deshalb komme ich ja zu dir.«
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Das Großejungenlächeln schimmerte für einen Moment unter
den erschöpften Gesichtszügen hindurch. »Nur deshalb?«
»Und weil wir Freunde sind.«
»Es ist schön, das zu hören, Nico. Ich will meinen Rat
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