Der Herr der Unruhe
stellte sie sich, wie eine Löwenmutter, die ihre Jungen verteidigt, der Truppe entgegen. Sie starrte Nico scharf an.
»Was soll dieses Theater?«
An Stelle des Gefragten antwortete der Kommandant. »Wir
kommen, um Signor Manzini vorläufig festzunehmen.«
Lauras Augen gaben den Bärtigen mit der dunklen Brille nicht frei, während sie kühl erwiderte: »Erst werfen Sie ihn aus dem Amt und jetzt ins Gefängnis? Aus welchem Grund?«
»Ich bin nicht befugt, Ihnen irgendwelche Auskünfte zu erteilen. Sollten Sie uns allerdings aufhalten wollen, bin ich gezwungen, Gewalt anzuwenden.«
Nur widerstrebend fügte sich Laura in das scheinbar Unab-
wendbare und gab den Weg für die bewaffnete Einheit frei. Nico ließ sich einfach in Richtung Arbeitszimmer mittreiben. Er hatte gehofft, es würde nicht zu dieser Begegnung kommen.
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Auf der Treppe kam ihnen Donna Genovefa entgegen. Sie
schwebte gleichsam die Stufen hinab, bedachte die Carabinieri nur mit einem flüchtigen Blick, aber als sie an Nico vorüberglitt, glaubte er auf ihren Lippen den Anflug eines Lächelns zu sehen.
Als die Operation sich auf das erste Obergeschoss des Palastes ausdehnte, war Don Massimiliano, wie vom Küchenmädchen vermutet, noch in seinem Arbeitszimmer. Er beschäftigte sich gerade mit dem Befeuern seines Kamins.
»Signor Manzini«, eröffnete der commandante, »Sie sind verhaftet.«
Ohne Zögern führten mehrere Polizisten die Order der Staatsanwaltschaft aus. Die Procura del Re hatte Nicos Aussage für »sehr überzeugend« gehalten. Das Ausschreiben des Haftbefehls war, nachdem man sich einen Vergleichsfingerabdruck des Stadtvorstehers von Nettunia besorgt und die Übereinstimmung mit jenem im Auftragsbuch festgestellt hatte, nur noch eine Forma-lität gewesen.
Der massige Gefangene setzte sich nicht zur Wehr.
»Ah!«, machte der Kommandant, nachdem er einen Blick auf
die Manzini entrissenen Papiere geworfen hatte. »Sind die Herren auf dieser Liste von Ihnen mit ›Spenden‹ bedacht worden?«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, knurrte Manzini.
Der Kommandant hielt ihm die zerknitterten Blätter entgegen.
»Hier hat jemand hohe Summen verzeichnet, die Ihnen als Stadtoberhaupt von Nettuno zugeflossen sind. Warum verbrennen Sie so etwas?«
»Hätte ich das getan, könnten Sie es nicht in Händen halten«, erwiderte Manzini mit ausdrucksloser Miene. Dann fügte er mit Blick auf Nico hinzu. »Sagen Sie Ihrem schweigsamen Begleiter, dass man Massimiliano Manzini nicht so einfach verhaften kann.
Ich habe mächtige Freunde.«
Der Kommandant lachte. »Sitzen die nicht längst alle im Ge-fängnis?«
»Warten Sie ’s ab. Nehmen Sie mich mit, wenn Sie es unbedingt für nötig halten, aber wagen Sie es nicht, mein Eigentum anzu-281
rühren! Und seien Sie achtsam, wenn Sie in Zukunft ohne Ihre Armee das Haus verlassen.«
»Wollen Sie mir drohen?«
Manzini schnaubte nur. Erst als man ihn abführen wollte, verlangte er nach der Lebensuhr.
»Die wird zu den Beweisstücken gegeben«, entgegnete der
Kommandant.
Manzinis Gesichtsfarbe veränderte sich. Auf seiner Nase und den Wangen trat ein blutrotes Netz von Äderchen hervor. Wut und Entsetzen waren der Zündstoff, der seine Worte hinaus-schleuderte. »Was? Wollen Sie, dass meine Uhr in einem Karton zum Stillstand kommt? Das lasse ich nicht zu!«
»Sie werden wohl nichts dagegen tun können«, erwiderte der Kommandant gleichmütig. Nico hatte ihn vorgewarnt, dass es möglicherweise zu einer solchen Reaktion kommen würde.
Manzini stemmte sich gegen die Hände an, die sich um seine Oberarme gelegt hatten. Er besaß die Kraft eines Stieres und die Körpermasse eines Bullen. Einer der Carabinieri konnte ihn nicht länger halten. Manzini riss sich los. Mit einem Mal blickte er in den Lauf einer Pistole.
»Noch einen Schritt, und ich schieße«, sagte der Kommandant.
Tief in Nicos Bewusstsein schrie eine Stimme: Drück doch ab!
Seine alte Rachsucht flackerte auf. Doch er rang sie nieder und legte rasch seine Hand auf den Waffenarm des Kommandanten.
Er wollte lieber für Gerechtigkeit einstehen, anstatt mit seinem Zögern dem Standrecht Vorschub zu leisten – allzu frisch waren noch die Erinnerungen an die Toten beim österreichischen
Volksaufstand im Februar 1934. Davon abgesehen wollte er Don Massimiliano in den Augen seiner Tochter nicht zu einem Märty-rer machen. Durch ein ordentliches Gerichtsverfahren konnte er Laura vielleicht die Augen öffnen.
Die Bedrohung
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