Der Herr der Unruhe
den alten Schlössern zu schaffen.
Das Portal öffnete sich. Zwei Männer traten ein. Die Uniform und die Schulterklappen des einen machten ihn als Brigadeführer der deutschen Waffen-SS kenntlich. Und der andere mit dem Hut und dem schwarzen Ledermantel … Nico glaubte, sein Blut müsste ihm in den Adern gerinnen. Selbst auf eine Entfernung von knapp zwanzig Metern war die schlampig zusammen-
genähte Oberlippe in dem schmalen blassen Gesicht des Mannes unverkennbar.
Der Zivilist an der Seite des deutschen Wehrmachtsoffiziers war derselbe Mann, der vor siebzehn Tagen in der römischen Via Dandolo in einem schwarzen Alfa Romeo gesessen hatte.
In Nicos Kopf begann ein Schöpfrad zu rotieren und unerbittlich schlammige Gedanken in sein Bewusstsein zu spülen. Das konnte unmöglich ein Zufall sein. Wenn der Spitzel, der das Versteck von Johan und Lea Mezei beobachtet hatte, mit einem Mal hier auftauchte, dann – Nicos Herz begann zu rasen – konnte das nur eines bedeuten.
Massimiliano Manzini war ihm auf den Fersen.
Schlimmer noch: Er kannte die Verstecke seiner Freunde in Trastevere und vermutlich auch in Sant’Angelo.
Und: Der ehemalige Leiter von Mussolinis »Läuterungskom-
mando« Purgatorio ging offenbar nach bewährtem Muster vor.
Seine Jäger studierten das Umfeld des Opfers, beobachteten eine Weile seine Gewohnheiten, kreisten es ein und töteten es mitsamt allen anderen, die sich ihnen in den Weg stellten. Im Jahr 1932
waren es Aaron und Feliciano gewesen, Vater und Sohn, beide unschuldig und vermutlich völlig ahnungslos, warum sie der Tod so plötzlich ereilte. Und jetzt …?
Nico begann zu zittern. Früher hätte er sich in einer solchen Situation hauptsächlich um seine eigene Person Sorgen gemacht, aber diese Phase seines Lebens gehörte der Vergangenheit an.
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Obwohl er von Feinden umzingelt und seine Lage alles andere als rosig war, musste er an Lea, Johan, Salomia, Davide, Professor Zolli und all die anderen denken, mit denen man ihn während seines letzten Aufenthalts in Rom gesehen haben könnte. Sie schwebten in Gefahr. In Lebensgefahr!
»Ich muss hier raus, muss zu ihnen«, murmelte er, und schon suchten seine Augen das Zimmer ab, als könnte er in den Schubladen der Kommoden und Schränke einen geheimen Fluchtweg
entdecken. Vor dem Gebäude entbrannte zwischen Donatello und den ungebetenen Gästen derweil ein heftiger Wortstreit, dessen Geräusche sogar bis durch das Fenster drangen. Nico gab das sinnlose Umherblicken auf. Seine Augen kehrten zu der Ausein-andersetzung am Portal zurück.
Der Verwalter der Festung wischte gerade mit einer unwilligen Handbewegung ein Papier aus der Hand des SS-Offiziers. Der Zivilist blieb auf eine kalte Weise ungerührt. Ohne erkennbare Regung sprach er ein paar Sätze zu Donatello, packte seinen uni-formierten Begleiter am Arm und zog ihn durch das Portal hinaus auf die Brücke, die den Wassergraben überspannte. Der Diener warf die Tür ins Schloss, verriegelte sie und lief eilig zum Haus zurück.
Nico eilte ihm entgegen. Sie trafen sich in der Vorhalle im Erdgeschoss.
»Was wollten die Kerle?«
»Guten Morgen!«, erwiderte Donatello gereizt. Augenscheinlich rang er noch um seine Fassung.
»Entschuldige. Sie sind wegen mir gekommen, stimmt’s?«
»Ja.«
»Und was wirst du tun? Lieferst du mich ihnen aus?«
»Du beliebst zu scherzen, junger Mann. Eher lasse ich Pech und Schwefel auf sie niederregnen.«
»Die Zeiten sind längst vorbei, Donatello.«
»Anfang des sechzehnten Jahrhunderts war das hier die mo-
dernste Festung der Welt.«
»Ich möchte nicht, dass dir irgendetwas zustößt.«
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»Das lass getrost meine Sorge sein.« Er schüttelte den Kopf und murmelte: »So weit ist es schon gekommen.«
»Was meinst du?«
»Da war ein Offizier der Waffen-SS.«
»Ich habe ihn vom Fenster aus gesehen.«
»Er hat sich als Pietro Mannelli vorgestellt. Ein Italiener ! Das will nicht in meinen Kopf. Wie kann ein Italiener zur Waffen-SS
gehören?«
»Ich habe auch schon davon gehört. Vermutlich ist er treuer Bürger der Republik von Salò.«
»Natürlich ist er Faschist. Mussolini hat noch viele Anhänger.«
»Was haben die beiden von dir verlangt? Außer meinen Kopf, meine ich.«
»Die Wehrmacht versucht schon seit September die Leute aus Nettunia zu vertreiben, aber viele haben sich bisher geweigert.
›Hier sind wir geboren, hier sterben wir‹, sagen sie. Aber jetzt machen die Deutschen ernst. Sie drohen, alle zu
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