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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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den Sessel, und er fiel auf das Knie. Rasch rappelte er sich wieder auf. »Verzeihung. Hat…
    Hatte Manzini etwas damit zu tun? War er daran beteiligt? Was sollte mit dieser Operation überhaupt …«
    »Immer eins nach dem anderen, junger Mann«, bremste Do-
    natello die Neugier seines Gastes. »Soweit ich es mitbekommen konnte, wollten Mussolinis Gefolgsleute mit dem Unternehmen
    ›Purgatorio‹ eine ›Läuterung‹ in ihren Reihen durchführen …«
    »Der Läuterungsberg«, wisperte Nico. »Ich nehme nicht an, dass Mussolini an der Reinigung von Sünden interessiert war, oder?«
    »Wohl eher nicht. Möglicherweise kennst du die Vorgeschichte des Duce nicht so gut. Früher war er Sozialist gewesen. Aber dann begann er – das muss so um 1914 gewesen sein – vom internationalen zum nationalen Sozialismus mit faschistischen Zügen umzuschwenken. Dabei mussten zwangsläufig – so funktioniert Geschichte nun mal – Gefolgsleute auf der Strecke bleiben.«
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    »Alle, die seinen Kurswechsel nicht nachvollziehen wollten.«
    »Du begreifst schnell. Außerdem mag es in der politischen Landschaft jener turbulenten Zeit einige gegeben haben, die Mussolinis Abkehr von der ›Zweiten Internationalen‹ für verwerflich hielten. Die Operation ›Purgatorio‹ war also eine Art Frühjahrs-putz im neuen Haus des Faschismus. Wie ich aus dem Gespräch des Duce mit Don Massimiliano entnehmen konnte, hatte sich die ›Reinigungsaktion‹ länger als erwartet hingezogen, und so wurde aus der Operation eine Institution: das Geheimkommando
    ›Purgatorio‹. Und dessen Kommandant war kein Geringerer als Massimiliano Manzini.«
    »Jetzt verstehe ich das Bild in der Wochenschau.«
    »Das muss ein peinlicher Ausrutscher gewesen sein, der auch in dem von mir belauschten Gespräch der beiden zur Sprache kam; eigentlich war es schon ein handfester Streit. Mussolini mahnte seinen Henkersknecht, die vereinbarte Berichtskette einzuhalten und beim nächsten Mal wieder D’Annunzio als Mittels-mann zu benutzen.«
    »Irgendwo habe ich den Namen schon einmal gehört.«
    »Würde mich wundern, wenn nicht. Gabriele D’Annunzio war
    ein gefeierter Dichter. Neuromantiker. Für meinen Geschmack ein wenig zu schwülstig, aber den Faschisten hat so etwas gefallen.«
    »›War‹?«
    »Er ist 1938 in seiner Villa am Gardasee gestorben.«
    »Hmm.« Nico ließ versonnen die ölige, tiefrote Flüssigkeit in seinem Glas kreisen.
    »Lass mich an deinen Gedanken teilhaben, mein Junge.«
    »Wenn ich eins und eins zusammenzähle, dann ist Manzini
    ausgerastet, als mein Vater ihn – völlig ahnungslos – mit dem Namen Purgatorio in Verbindung brachte. Don Massimiliano hatte schon so manche Anklage überstanden, aber hier geriet er regelrecht in Panik. So reagiert kein Mann, der anderen freundlich den Parteiaustritt nahe legt. Ich nehme an, die geheime Ab-teilung ›Purgatorio‹ hat beim ›Läutern‹ auch gröbere Methoden angewandt, oder?«
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    »Im Streit zwischen Mussolini und Don Massimiliano ging es Schlag auf Schlag. Zuerst haben sie sich gegenseitig Vorwürfe gemacht und dann einander bedroht. Dabei sind viele Andeutungen gefallen, aus denen ich mir meinen Reim gemacht habe, aber ich weiß nicht, ob das vor Gericht Bestand haben könnte.«
    »Worum ging es denn in diesen … Andeutungen?«
    »Offenbar konnte Purgatorio über Jahre im Geheimen sein
    Unwesen treiben. Die Gruppe arbeitete mit Einschüchterung, Diffamierung, Erpressung, bis die Situation plötzlich außer Kontrolle geraten sein muss.«
    »Was war passiert?«
    »Sagt dir der Name Matteotti etwas?«
    Nicos Unterlippe wanderte nach vorn. Er schüttelte den
    Kopf.
    »Na, du bist ja damals auch noch ein kleiner Junge gewesen.
    Giacomo Matteotti war ein sozialistischer Oppositionspolitiker, der Mussolini gehörig einheizte. Vor allem die faschistischen Einschüchterungskampagnen während des Wahlkampfes im Jahr 1924 hatte er scharf kritisiert. Dann, am 10. Juni – wegen des Aufschreis, der danach durchs ganze Land ging, kann ich mich noch genau an das Datum erinnern –, fiel er einem Mord zum Opfer.«
    »Was?«
    »Du hast richtig gehört. In dem Streit, von dem ich Zeuge wurde, sagte Mussolini sinngemäß: ›Ich habe dir gesagt, du sollst dem sozialistischen Wadenbeißer das Maul stopfen, aber du hättest ihn nicht gleich kaltmachen müssen.‹ Woraufhin Manzini erwiderte: ›Für mich hörte sich der Befehl anders an. Außerdem hat »Purgatorio« immer selbst über die Wahl seiner

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