Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
trug nur einen Gehstock, der wohl eher dekorativen Charakter hatte, und eine Handlampe in Form einer kleinen Blechkiste mit einem Strahler darin. Mit dieser eher armseligen Beleuchtung drangen sie bis in den hintersten Teil des dunklen Gewölbes vor. Die Flucht geriet vor einem Haufen Unrat ins Stocken. Nico sah verstaubte Holzkisten mit leeren Weinflaschen und eine nicht sehr sorgfältig zusammengeworfene Pelerine aus Ölzeug.
    »Ich würde es zu schätzen wissen, wenn du das da zur Seite räumst«, sagte Donatello.
    Nico seufzte. Vorsichtig ließ er den Koffer zu Boden sinken und schleppte das staubige Gerümpel aus dem Weg. Darunter kam eine eiserne Klappe mit einem riesigen Vorhängeschloss zum Vorschein.
    »Das ist dann wohl unser Notausgang«, murmelte er.
    »Santa Maria!«, zischte Donatello.
    »Was ist?«
    »Ich habe keinen Schlüssel.«
    »Dann hole ich ihn. Wo ist er denn?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Aber …«
    »Don Alberto hat ihn immer verwahrt. Du hast nicht zufällig eine größere Kneifzange zur Hand?«
    »Nein. Aber warte mal.«
    Nico kniete sich vor der Klappe nieder, nahm das Vorhängeschloss in beide Hände und brummte schon nach kurzer Kon-
    versation: »Stammt noch aus der Zeit der Kreuzzüge, wie mir scheint.«
    »Da gab es das Forte Sangallo überhaupt noch nicht. Der letzte Kreuzzug …« Er verstummte, weil sein Begleiter unvermittelt zu summen begonnen hatte, schnappte nach Luft und protestierte:
    »Das ist nun wirklich der unpassendste Augenblick, mein junger Freund, um sich der Heiterkeit hinzugeben. Da oben stehen ungefähr …«
    Klick!
    352
    Das metallische Geräusch des sich öffnenden Schlosses hatte den Alten ein zweites Mal der Worte beraubt.
    Nico lächelte in den Lichtkegel der Handlampe. »Sie hat sich nicht besonders gesträubt?«
    »Sie?«, japste Donatello.
    »Ist nur so eine Angewohnheit von mir, die leblosen Dinge nach ihrem Wesen einzuordnen. Es gibt natürlich auch Männer, die empfindsam sind.«
    »Empfindsam?«
    Nico riss die Luke hoch, ließ sie auf der anderen Seite zu Boden scheppern und packte wieder den Koffer. Auf das Loch vor seinen Füßen deutend, sagte er: »Ich nehme an, dort geht es weiter.«
    Donatello ging voran. »›Sie‹ ist empfindsam!«, murmelte er noch mehrere Male und schüttelte dabei fassungslos den Kopf.
    Ihr Weg führte zunächst durch einen künstlichen Tunnel, in dem knöcheltiefes Wasser stand. Die gemauerten Wände glänzten nass im Licht der Handlampe.
    »Hast du Steine in dem Koffer?«, ächzte Nico und ließ entkräftet seine Last auf den Boden sinken.
    »Nur das Tafelsilber«, kam die Antwort von vorn.
    »Du …?«
    Donatello blieb stehen, drehte sich um und lachte. »War nur ein Scherz. Ich würde dich doch nicht zum Komplizen eines Diebstahls machen.«
    »Danke.«
    »Zumindest nicht, ohne vorher zu fragen.«
    »Das ist beruhigend. Wo gehen wir eigentlich hin? Ich meine, sofern die SS uns nicht schnappt.«
    »Keine Sorge, das wird sie nicht. Ich habe eine Freundin in der Stadt. Die wird mir weiterhelfen.«
    » Du hast eine …?« Ein bittersüßes Gefühl schwemmte für einen Moment Nicos Unwohlsein fort und ließ ihn nur noch spü-
    ren, wie sehr er Laura vermisste.
    »Ich an deiner Stelle würde mir genau überlegen, was ich jetzt sage, junger Mann«, warnte der Alte.
    353
    »Ist sie hübsch?«
    Wie ein Operntenor kehrte Donatello mit ausgebreiteten
    Armen zu Nico zurück und sang folgendes Loblied: »Sie ist eine Lilie auf zwei Stängeln, wenn ich so sagen darf: blutjung, feurig, großzügig, ja, fast verschwenderisch, weltoffen und …«
    »Dann stammt sie aus Anzio?«, konstatierte Nico.
    »Was, wieso?«
    »In Nettuno leben die meisten von der Landwirtschaft, oder ihre Vorfahren waren Bauern. Die Leute hier sind bodenständig, gediegen, unauffällig, haben Haus und Hof im Kopf. Die Menschen in Anzio sind eher so, wie du deine Flamme beschrieben hast: Sie leben von der Hand in den Mund, denken nur ans Heute, die Frauen sind modischer, sie schminken sich. Nicht ohne Grund suchen sich viele Männer von hier ihre Ehefrau in Anzio.
    Seid ihr verlobt?«
    Donatello plusterte sich vor Nico auf. »Man merkt, dass du als Gemeindemechaniker viel herumgekommen bist. Die ehrenwerte Dame, die mein Herz besitzt, stammt tatsächlich aus Anzio, aber sie lebt schon lange hier.«
    »Dann kenne ich sie vielleicht?«
    »Ja. Sie hat mir selbst erzählt, wie sie sich nach der Rettung der kleinen Marianna Grilli um dein leibliches Wohl

Weitere Kostenlose Bücher