Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
erschießen, wenn die Stadt nicht umgehend geräumt wird. Die ganze Bevölkerung muss sich mindestens fünf Kilometer von der Küste zurückzie-hen. Der Judas von der SS hat irgendetwas von ›strategischen Zwängen‹ gefaselt, wahrscheinlich weil Badoglio Deutschland gerade den Krieg erklärt hat.«
    » Was? Davon habe ich ja noch gar nichts gehört.«
    »Mich überrascht das nicht, wenn einer mit seinem Motorrad in den Pontinischen Sümpfen herumkurvt und nachts in Höhlen schläft.«
    »Und sich dabei die Grippe holt«, fügte Nico lahm hinzu und fasste sich an die Stirn. Hatte er Fieber?
    Donatello reagierte nicht darauf. Stattdessen erklärte er: »Dein Name ist übrigens nicht gefallen. Wenn ich mich nicht irre – und ich irre mich selten –, dann fürchten sie wohl weniger, dass du hier herausspazieren könntest, als eher das Gegenteil.«
    »Wie bitte?«
    »Sie glauben, du könntest zu mir gelangen.«
    349
    »Aber ich denke, Manzini hat keine Ahnung, dass du ein Mit-wisser bist, weil du damals seinen Streit mit dem Duce belauscht hast.«
    »Ich weiß wohl mehr über seine wechselhafte Vergangenheit –
    insbesondere seine enge Beziehung zum Duce – als jeder andere in Nettuno. Wenn er deinen Vater wegen einer Prägung im Deckel einer Uhr umgebracht hat, dann könnte er Gründe genug finden, auch mich zum Schweigen zu bringen.«
    »Und daran bin ich alleine schuld. Manzini hat sich jahrelang nicht um dich geschert, aber mit meiner Schnüffelei muss ich ihn alarmiert haben. Jetzt versucht er alle Zeugen und Beweise seiner dunklen Vergangenheit aufzuspüren und zu liquidieren.«
    »Bilde dir nur nicht zu viel auf dich ein, Nico dei Rossi. Ich glaube eher, dass Don Massimiliano mir nichts getan hat, weil er sich bis vor einem Jahr nicht mit dem Baron anlegen wollte.
    In den letzten zwölf Monaten hatte er dann genug andere Dinge um die Ohren. Jetzt, wo ihn die Deutschen wieder aufs Pferd gehoben haben, verfällt er in alte Gewohnheiten: Er räumt auf.«
    »Unterm Strich kommt dasselbe heraus. Du musst untertau-
    chen.«
    Der Kammerdiener lächelte. »Das amüsiert mich. Der mäch-
    tigste Mann der Stadt lässt dich steckbrieflich suchen, und du rätst mir, von der Bildfläche zu verschwinden?«
    »Das ist nicht lustig, Donatello.«
    »Nein, führwahr, das ist es nicht. Wir werden gemeinsam fliehen. Wie geht es dir? Du siehst fürchterlich aus.«
    »Danke. Ich fühle mich, als hätte man mich auf eine Streckbank gespannt und würde mir abwechselnd Eiswasser und siedendes Öl überschütten.«
    »Das klingt aber gar nicht gut. Ich werde einen Blick in meine Hausapotheke werfen. Vielleicht finde ich da etwas für dich.«
    Nico nickte geistesabwesend. »Wie stellst du dir das vor, von hier zu fliehen? Soweit ich es vom Fenster aus beurteilen konnte, ist die ganze Festung von Militär umstellt.«
    350
    »Hast du schon einmal von der Piazza dei Pozzi di Grano ge-hört?«
    »Dem ›Platz der Getreidebrunnen‹? Nicht dass ich wüsste. Wo ist der denn?«
    »Nicht ›ist‹, junger Freund. Die Piazza war einmal. Im Mittelalter. Unter ihr lagen ausgedehnte Höhlen, in denen Korn gelagert wurde. Was hältst du von einer kleinen Besichtigungstour?«

    Auf Anraten des Kammerdieners widmete sich der Herr der Unruhe eingehend seinem Äußeren, während Donatello einige Habseligkeiten zusammenpackte. Zuvor hatte er Nico Wasserstoffper-oxid sowie eine Rasierklinge ausgehändigt und ihm versichert, dass man damit wahre Wunder vollbringen könne.
    Etwa eine Stunde später besaß Nico semmelblondes Haar,
    einen Schnurrbart und mehrere Schnitte im Gesicht.
    »Ich sehe aus wie ein Seeräuber nach einem Entergang.«
    »Dazu müsstest du eines deiner Brillengläser schwarz fär-
    ben.«
    »Ich lass die Brille lieber ganz weg. Hat mir sowieso kein Glück gebracht.«
    »Kannst du denn ohne Brille genug sehen?«
    »Die Gläser sind nur aus Fensterglas.«
    »Oh! Bist du so weit?«
    »Es geht. Besser wird es nicht werden. Ich will ja nicht drängen …«
    Donatello lächelte. »Hab schon verstanden. Bist du so freundlich und tust mir einen kleinen Gefallen?«
    »Ja?«
    »Nimm meinen Koffer.«
    Nico war nicht unbedingt das, was man landläufig unter einem Athleten verstand. Schon auf dem Weg in den Weinkeller begann er zu schwitzen. Seine Kräfte waren mehr geistiger Natur, zumal die eingenommenen Medikamente keine Wunder zu vollbringen vermochten. Er hatte jedoch nicht jammern wollen. Jetzt bekam er die Quittung dafür.
    351
    Donatello

Weitere Kostenlose Bücher