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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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komme ich später auf das Angebot zurück, Donatello. Du hast mich vor Manzinis Helfershelfern beschützt, und dafür danke ich dir, aber jetzt muss ich jemanden retten.«
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    Rom,

    1943

    mmer wieder verschwamm der schlammige Weg vor Nicos
    I Augen. Lag es am Schüttelfrost, der ihn in zunehmend heftigen Schüben heimsuchte, oder am unebenen Untergrund, dass er kaum die Spur halten konnte? Er stand kurz davor, sein Glück herauszu-fordern und einfach nach Norden auf die Via Appia auszuweichen.
    Die bedrohlichen Bilder von der Umstellung des Forte Sangallo hielten ihn jedoch zurück. Er blieb auf der Marterstrecke, die nicht nur ihm, sondern auch Albino das Letzte abverlangte.
    Wie ein treues Ross trug ihn das Motorrad in Richtung Rom.
    Gegen elf Uhr klarte der Himmel auf. Die Sonne im Rücken tat Nico gut. Mittags erreichte er nach mehreren Verschnaufpausen endlich sein Ziel. Zuvor war er zum Haus der Familie Pierantoni gefahren, wo Johan und Lea Mezei auf Vermittlung des Oberrabbiners vorübergehend Unterschlupf gefunden hatten. Dort überreichte man ihm eine für ihn hinterlegte Nachricht, die ihn einmal mehr nach Trastevere beorderte. Als er dem linken Tiber-Ufer nach Süden folgte, bemerkte er auf der anderen Seite des Flusses zahlreiche Armeefahrzeuge.
    Endlich erreichte er das beschriebene Versteck in der Via della Lungaretta. Es war ein mehrstöckiges Gebäude mit weißer und ockerfarbener Fassade. Vom Eingangsportal blickten pausbäckige Engel auf ihn herab. Über einen Innenhof gelangte er zu dem Hin-terhaus, wo er sich nach einer Signora Lurgi erkundigen sollte.
    Ihre Wohnung befand sich im Erdgeschoss. Er klingelte, und eine hagere Frau Anfang sechzig öffnete. Sofort sah er ihrem Gesicht an, dass etwas nicht stimmte.
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    »Signora Lurgi?«
    »Ja?«
    »Mein Name ist …« Welchen sollte er nennen? »Ich suche
    Johan und Lea Mezei.«
    »Da sind Sie offenbar nicht der Einzige.« In ihrer Hand erschien ein Taschentuch, mit dem sie sich die Augen abtupfte.
    »Wohnen die beiden bei Ihnen?«
    »Ich weiß von nichts.«
    »Hören Sie, ich bin ein Freund. Wo sind die beiden?«
    »Nicht mehr hier.« Signora Lurgi stillte erneut den Tränen-fluss.
    Nico entsann sich auf die Mitteilung des Meisters. Er hielt der Frau das handbeschriebene Blatt vor die Nase.
    »Das hier hat mir Johan Mezei bei Freunden hinterlassen. Ich sollte mich hier mit ihm treffen.«
    Nun brach vollends der Damm, der Signora Lurgis Verzweif-
    lung bisher zurückgehalten hatte. »Sie hatten sich drei Häuser weiter hinter einer hohlen Wand auf dem Dachboden versteckt.
    Aber irgendwer muss sie verraten haben. Sie haben sie mit dem schwarzen Auto direkt … Ist Ihnen nicht gut, junger Mann?«
    Nico hatte sich am Türrahmen festgehalten, weil ihm schwind-lig geworden war. Er fasste sich entsetzt an die Stirn. Sie war glü-
    hend heiß. In seinem Innern breitete sich dagegen eine eisige Kälte aus. »Offen gestanden, nein«, stammelte er.
    »Wollen Sie hereinkommen und sich einen Moment ausru-
    hen?«
    »Nein!«, stieß Nico hervor, weil er wusste, dass er nach einer weiteren Ruhepause nicht mehr auf die Beine kommen würde.
    »Wo hat man die beiden hingebracht?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Sie sagten, ein schwarzer Wagen hat sie abgeholt. War es ein Alfa Romeo …?«
    »Das weiß ich doch nicht«, unterbrach ihn die alte Dame und drohte nun selbst die Fassung zu verlieren. »Es war so eine Limousine. Schwarz eben. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
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    »Aber kein Armeefahrzeug?«
    »Nein. Weder ein deutsches noch ein italienisches.«
    »Wann …« Er schluckte einen dicken Kloß hinunter. »Wann
    war das?«
    »So zwischen sechs und halb sieben.«
    »Also im Morgengrauen«, murmelte Nico. Vor sechs Stunden!
    Sie konnten schon sonst wo sein. Jetzt erst ließ er den Arm sinken und blickte verstört in seine Handfläche. Sie war schweißnass.
    »Es tut mir so Leid«, beteuerte Signora Lurgi. »Wollen Sie nicht doch hereinkommen und …?«
    »Vielen Dank«, sagte Nico tonlos, drehte sich um und stolperte aus dem Haus.
    Vielleicht wusste Davide, was geschehen war. Der Goldschmied und seine Frau hatten sich bei Freunden in der Via Gallo, unweit der Piazza Campo dei Fiori, versteckt. Nico bestieg erneut sein Motorrad und ließ den Motor aufheulen.
    Zur Überquerung des Tiber wählte er die Ponte Cestio. Als er die Insel in der Flussmitte überquerte, auf der sich das Ospedale dei Fatebenefratelli befand, überkam ihn ein unheimliches

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