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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Deutsche, und es hörte sich irgendwie gereizt an.
    »Nein, Herr Obergruppenführer. Er ist Katholik.«
    »Wir hatten achttausend jüdische Ratten auf der Liste und haben gut eintausend erwischt. Sacken sie den Kerl mit ein.«
    »Aber, Herr Obergruppenführer, schauen sie hier.«
    362
    Nico sah undeutlich, wie der Dolmetscher seinem Vorgesetzten einen aufgefalteten Papierbogen hinhielt.
    »Ich kann kein Italienisch. Was ist das?«
    »Ein Empfehlungsschreiben des Heiligen Stuhls.«
    »Noch so einer!«, schnaubte der Offizier. »Mir wurde berichtet, dass die Stärke der päpstlichen Leibwache in den letzten zwölf Monaten sprunghaft angestiegen sein soll. Prüfen Sie trotzdem, ob sein Name auf der Liste steht.«
    Verschwommen nahm Nico wahr, wie sich ein weiterer Soldat in sein Blickfeld schob. In seinen Händen hielt er etwas Helles, in dem er herumzusuchen begann. Woher hatten die Deutschen all die Namen?
    »Kein Michel Niklas dabei, Herr Obergruppenführer«, er-
    klärte Stimme Nummer drei.
    »Niklas ist die alpenländische Form von Nikolaus. Wie steht’s damit?«
    »Habe ich schon nachgeschaut, Herr Obergruppenführer. Wir haben auch keinen Michel Nikolaus oder Klaus auf der Liste.«
    Der Dolmetscher verschaffte sich respektvoll Gehör. »Wenn ich mir den Rat erlauben dürfte, Herr Obergruppenführer, sollte dieser Mann tatsächlich zum Stab des Heiligen Vaters gehören, dann wäre es vielleicht besser …«
    »Nun machen Sie sich mal nicht gleich in die Hosen, Ascari.
    Finden Sie es nicht auch merkwürdig, dass er im Juden-Ghetto herumschleicht, obwohl es hier von unseren Männern nur so wimmelt?«
    »Der Mann scheint krank zu sein.«
    »Oder ein Saboteur. Besser, wir nehmen ihn mit.«
    »Das hier wird schon Aufsehen genug erregen. Wir sollten
    Pius XII. nicht unnötig reizen, Herr …«
    »Halten Sie endlich die Klappe, Ascari! Herrje ! Hat Ihr Spieß Ihnen nicht beigebracht, was Disziplin bedeutet?«
    »Ich wollte Ihnen nur Ärger ersparen, Herr Obergruppenführer.«
    Der Offizier zischte etwas für Nico Unverständliches und rief 363
    dann nach einem Funker. Wieder klapperten Stiefelsohlen auf dem Kopfsteinpflaster, und ein Befehl wurde gebellt.
    »Geben Sie den Namen dieses Mannes ans Hauptquartier
    durch. Vielleicht ist er ein Partisan.«
    Nico musste an die schwarze Limousine denken, die Johan
    und Lea entführt hatte. Kein Armeelastwagen wie hier! Im trä-
    gen Schleim seiner Gedanken schwamm die Erkenntnis auf, dass Manzini ihm nachgespürt haben musste. Wie damals, als nur einen Steinwurf weit entfernt zwei Unschuldige hatten sterben müssen. Jetzt hatte sich sein Feind mit einer ganzen Armee verbündet, die Tausende Menschen wie Vieh verladen und davon-schaffen konnte. Wenn der Funker seine Meldung absetzte, dann würde man seinen Namen bestimmt …
    »Es funktioniert nicht, Herr Obergruppenführer.«
    »Was soll das heißen?«
    »Ich kriege nur statisches Rauschen.«
    »Versuchen Sie es weiter.«
    Nico stieß ein unwilliges Brummen aus.
    »Lassen Sie den Mann doch gehen, Herr Obergruppenführer«, legte für ihn erneut der Dolmetscher Fürsprache ein.
    Der Offizier stieß unwillig die Luft durch die Nase aus. »Na, meinetwegen. Der Bursche sieht sowieso aus, als wenn er es nicht mehr lange macht. Sollte er es bis zum Vatikan schaffen, kann er Papst Pius ja schöne Grüße von SS-Obergruppenführer Theodor Dannecker ausrichten: Wir hätten die Ewige Stadt von ihrer schlimmsten Ungezieferplage befreit. Der Führer würde sich über ein Dankestelegramm von Seiner Heiligkeit bestimmt sehr freuen.«

    Später wusste Nico nicht genau, wie er es hatte schaffen können.
    Seine Erinnerungen waren wie einzelne blaue Lücken in einem schwarzgrauen Wolkenbrei. Zum Fieber, den Schmerzen und der Übelkeit kam die Verzweiflung hinzu. Seine Freunde, nein, seine Familie war verschleppt worden. Irgendwie hatte er es vom Ghetto aus zum Motorrad geschafft und war schlingernd, wie durch 364
    einen Nebel, in die Via Gallo gefahren. Dort fand er weder Davide und Salomia noch die Leute, die ihnen Unterschlupf gewährten.
    Danach hatte er keinen anderen Ausweg gewusst, als zum Vatikan zu fahren. Als er den Petersplatz erreichte, beobachtete er eine Szene, deren Unmenschlichkeit die Reichspogromnacht nur wie eine Ouvertüre des Grauens erscheinen ließ.
    Offenbar war die Einheit des SS-Obergruppenführers Danne-
    cker nicht in Rom stationiert, denn die Männer führten sich auf wie Touristen. Ständig rollten die

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