Der Herr der Unruhe
übertönte die volle Stimme des Böttchers den Lärm. Rasch kehrte wieder Ruhe ein.
Nico legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ihr braucht einen 388
Besseren als mich, um in der Stadt wieder Ordnung zu schaffen, aber vielleicht kann ich trotzdem etwas für euch tun. Wisst ihr, wie ich die Widerstandskämpfer finde?«
»Welche? Seit den Erschießungen im September verstecken
sich eine Menge Halbwüchsige in den umliegenden Wäldern. Die Deutschen setzen da keinen Fuß hinein.«
»Ich suche Bruno Sacchi.«
»Den Fremdenführer?«, fragte Salvini schmunzelnd.
»Im Moment führt er die ausländischen Besucher höchstens
an der Nase herum.«
»Was sie ziemlich nervös macht. Seine Partisanengruppe versteckt sich in den Albaner Bergen, manchmal auch in den Sümpfen. Das wissen wir, weil ab und zu hier einer aufkreuzt, um die Deutschen auszuspähen. Aber ein paar Tage werden Sie sich da schon gedulden müssen.«
Die Vorstellung, den nächsten Fieberschub in einer Höhle
durchzustehen, behagte Nico nicht besonders, aber trotzdem fragte er: »Kann ich eine Weile bei euch bleiben?«
Von allen Seiten wurde Zustimmung signalisiert.
»Danke, Freunde. Ach, da wäre noch etwas, Signor Salvini.«
»Nur heraus damit, Don Nico.«
»Wie ich hörte, sollen mehrere Häuser der Altstadt über geheime Zugänge mit den Höhlen hier verbunden sein. Ihr wolltet mich doch in den Palazzo Manzini schicken. Gibt es unter euch zufällig einen, der mich da unbemerkt hineinbringen kann?«
»Ja!«, meldete sich aus dem Hintergrund eine knarzende
Stimme auf Deutsch. Die Leute machten murrend einer etwa
sechzigjährigen Frau Platz, die sich mit ihren Ellenbogen ungeduldig zu Nico durcharbeitete. Ihre Seidenstrümpfe bildeten von den Knien an abwärts Ringe, und auch sonst war sie die Verkörperung der Schlampigkeit.
»Signora Tortora!«, rief Nico erfreut aus, als er die sprachbegabte Witwe wiedererkannte, die ihn vor Jahren mit ihrem bestia-lisch stinkendem Mückenschutzmittel versorgt hatte.
»Schön, dich wiederzusehen, Jungchen. Du siehst müde aus.
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Soll ich dich sofort in den Palast des Gouverneurs führen, oder willst du erst eine Mütze Schlaf nehmen?«
Kaiser Nero hatte eine Schwäche für das liebliche Klima am Tyrrhenischen Meer. In seiner Geburtsstadt Antium besaß er eine prächtige Villa, von der neunzehnhundert Jahre später nur noch ein paar Trümmer übrig geblieben waren. Und die Grotten.
Le Grotte di Nerone hatten dem im Ruf eines pyromanischen Irren stehenden Kaiser als natürliche Abstellkammer für seine Bediensteten gedient. Außerdem wurde sein luxuriöses Domizil von dort unten aus beheizt. Als Nico die Höhlen besuchte, waren sie leer und kalt. Sie öffneten sich in ausgemauerten Rundbögen zum Meer. Über den Trümmern ragte ein Häuschen mit einem
Leuchtturm auf.
Seit seiner Rückkehr nach Nettunia waren sieben Tage
vergangen. In dieser Zeit hatte er das eine oder andere in die Wege geleitet, um die Kreise seines Gegenspielers zu stören, und schließlich war es ihm auch gelungen, eine Verbindung zu Bruno Sacchi herzustellen. Als er durch die Dunkelheit der unterirdischen Gewölbe stolperte, fragte er sich, warum Bruno ausgerechnet diesen Ort für ihr geheimes Treffen vorgeschlagen hatte. Vielleicht fühlte sich der Partisanenführer in den Katakomben unter Neros Villa zu Hause, schließlich hatte er sich schon einmal hier versteckt.
Gerade wollte Nico zur Orientierung für einen weiteren kurzen Augenblick seine Lampe einschalten, als er plötzlich vor sich ein gedämpftes Licht entdeckte. Es schwang hin und her, als hinge es an einem Pendel.
»Späher vom Forte Sangallo?«, raunte er – wenn da vor ihm ein deutscher Posten saß, dann war er ohnehin verloren.
»Komm näher. Hier hinten können wir Licht machen, ohne
entdeckt zu werden«, kam die geflüsterte Antwort zurück. Es war unmöglich zu beurteilen, ob es sich dabei um seinen Freund handelte oder nicht.
Nico näherte sich mit tastenden Schritten dem gedämpften
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Lampenschein. Unvermittelt umfasste eine Hand seinen Oberarm.
Er schrak zusammen.
»Ruhig Blut, amico mio .«
»Bruno!« Die Erleichterung ließ ihm die Knie weich werden.
»Hast du Kaiser Neros Geist erwartet? Der ist gerade ausgegangen.«
»Witzbold.«
»Gib mir deine Hand. Ich bringe uns noch ein Stückchen tiefer in die Höhle.«
Wie ein Blinder ließ sich Nico in einen geschützten Winkel der Grotte führen. Dann erst durfte er seine Handlampe
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