Der Herr der Unruhe
hoffe, der Fisch ist in besserem Zustand als das welke Gemüse, das uns Ihr Kollege letztens andrehen wollte.«
Nico grinste diebisch. Da hatte er so seine Zweifel.
Der Verwalter klang brüskiert. »Ich habe mich persönlich um das Kühlaggregat gekümmert. Es ist Tag und Nacht gelaufen.«
»Ja, mit unserem Treibstoff.«
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»Von dem wir uns ein paar Tröpfchen ausgeliehen haben«
flüsterte Nico erwartungsfroh. Jetzt kam das Beste.
Der Glatzkopf nestelte eine Weile mit seinem kleinen Schlüssel an dem Vorhängeschloss herum, das die Kühlhalle vor hungri-gen Mitbürgern schützen sollte. Endlich sprang es auf. Er packte den Griff des riesigen Tores und zerrte es in den Laufschienen zur Seite.
Der Oberkörper des Feldwebels ruckte nach hinten. Schüt-
zend riss er den Arm vor das Gesicht. »Ähhhh! Was für ein wider-licher Gestank! Soll das der frische Fisch sein, den Ihr Chef uns versprochen hat?«
Der Verwalter warf die Arme in die Höhe. »Ich kann mir das nicht erklären …«
»Ich schon«, unterbrach ihn der Offizier. Seine Stimme wurde mit jedem Wort lauter. »Oder wollen Sie mir weismachen, dass Sie nicht die Wärme spüren, die aus dem Kühlhaus kommt? Wir zeigen euren Fischern, wie sie die Seeminen umschiffen können, und zum Dank heizt ihr den Fang, bis die Maden herausquel-len!«
»Aber wie ist das möglich?«, jammerte der Kahlköpfige.
Nicos Lippen formten die Antwort. »Indem man der Kühlma-
schine ein paar warme Gedanken einflüstert.«
»Vielleicht sollte Ihr Stadtoberhaupt etwas mehr Härte gegen-
über den Partisanen zeigen. Rufen Sie ihn sofort her.«
»Feldwebel …«
»Keine Widerrede. Ich möchte auf der Stelle Massimiliano
Manzini sprechen. Oder wollen Sie, dass wir ihn für ein Mitglied der Resistenza halten? In jüngster Zeit geht alles in die Hose, was er für uns tut. Er soll sich für die Schweinerei hier verantworten.«
»Könnten Sie ihn nicht selbst aufsuchen, Herr Feldwebel?
Don Massimiliano ist so ziemlich der Einzige, der noch in seinem Haus wohnt, und …«
»… außerdem wollen Sie sich die Unannehmlichkeit ersparen, ihm Rede und Antwort zu stehen. Ein Offizier der Deutschen 394
Wehrmacht wird nicht zu Ihrem ›Gouverneur‹ kriechen wie einer seiner Lakaien. Sagen Sie ihm, Feldwebel Hurz erwartet ihn. Sofort !«
Das letzte Wort hatte der Feldwebel so laut geschrien, dass selbst Nico sich fragte, ob er den Zorn der Deutschen zu sehr he-rausgefordert hatte. Er wollte Manzini das Wasser abgraben, ihn für seine Verbündeten zu einem nutzlosen stinkenden Fisch machen, den sie angewidert wegwarfen, aber auf keinen Fall durfte er in Nettunia ein Massaker riskieren. Von Lorenzo und Bruno wusste er, dass die Deutschen bei der Besetzung des Landes mit unvorstellbarer Grausamkeit vorgegangen waren. Wenn die Partisanen sie sabotierten, dann antwortete das Militär mit Erschie-
ßungen ganzer Weiler und Dörfer. Ihre Opfer waren Alte, Frauen und Männer, Kinder, Neu- und sogar Ungeborene – die Mordlust der Besatzer machte vor keinem menschlichen Wesen halt. Er durfte den Bogen nicht überspannen.
Zwar hätte Nico sich gerne noch die Standpauke für Manzini angehört, aber sein Körper lechzte nach Ruhe. Die wenigen Ge-räusche, die er auf seinem Rückzug machte, gingen im Geprassel des Regens unter. Hoffentlich besserte sich das Wetter im Laufe des Nachmittags noch. Albino würde auch so schon sein Letztes geben müssen.
Mürrisch beobachtete Guido Valletta die Bindfäden aus Regen-wasser, die sich vom Himmel in den Lichthof des Palazzo Manzini spannten. Sein Ledermantel bot gegen die feuchte Januarkälte nur unzureichend Schutz. Er sog gierig an der Zigarette, als könne sie ihn wärmen, was natürlich nur eine Illusion war. Im letzten Winter hätte er bei so einem Sauwetter keinen Fuß aus dem geheizten Büro gesetzt. Die Organizzazione per la Vigilanza e la Repressione dell’Antifascismo war vielleicht kein beliebter, aber wenigstens ein organisierter Haufen gewesen. Als Geheimpolizist in der OVRA hatte er Anspruch auf eine Pension gehabt, den Mitgliedern der Banda Koch würden im Alter wohl nur die Albträume von den Heckenschützen der Partisanen bleiben. »Was soll’s«, schnaubte 395
Valletta. Außer Bespitzeln und Töten hatte er nichts Vernünftiges gelernt.
Er trat an die Balustrade und sah auf Michelangelos Adam
herab. Manzinis Konterfei schwamm, von Dutzenden dünner
Fugen fragmentiert, in einer großen Lache. Don Massimiliano war ein Narr,
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