Der Herr der Unruhe
einschalten; auch Bruno nahm den Stofffetzen von der seinen. Sie leuchteten sich gegenseitig an.
»Du bist schmal geworden«, sagte Nico.
»Dann hast du lange nicht mehr in den Spiegel gesehen. Siehst aus wie der Tod auf Latschen.«
»Ich war krank.«
»War?«
»Na ja, es könnte noch ein paar Tage dauern, bis ich wieder richtig in Form bin.«
»Wo hast du dich rumgetrieben? Unser Plan war fix und fertig ausgearbeitet, aber dann bist du nicht mehr bei Sophia Fiori aufgetaucht.«
»Mich muss bei einem der Besuche in den Sümpfen eine
Mücke gestochen haben.«
»Du hast Malaria ?«
»Jetzt tu nicht so, als könnte dich mein bloßer Anblick umbringen. Das Gröbste liegt hinter mir. Wenn du kein Vampir bist und mein Blut trinkst, dann passiert dir nichts.«
»Anscheinend bist du unverwüstlich. So jemanden wie dich
brauchen wir noch, Nico.«
»Fängst du schon wieder damit an? Ich bin mein eigener Kommandant, Bruno.«
»Richtig. Hatte ich fast vergessen. Wie man hört, betreibst du jetzt so eine Art Ein-Mann-Resistenza.«
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»Alles Übertreibung. Manzini verdient sich eine goldene Nase, indem er den Deutschen Material, Proviant und Informationen liefert. Ich sorge dafür, dass die Ware … sagen wir, nicht immer in einwandfreiem Zustand den Empfänger erreicht.«
»Unser Informant sagt, dass Nettunias Gouverneur auf der
Favoritenliste von Generalmajor Raapke täglich weiter nach unten rutscht. Im Grunde tust du nichts anderes als wir, Nico.
Wir wollen das Schwein Manzini vor ein Standgericht stellen.
Mach bei uns mit, dann kannst du deine Schlagkraft verviel-fachen.«
»Du willst doch nur die deine aufmöbeln. Wie ich höre, haben die Deutschen eine ganze Reihe von euch erwischt.«
»Ja«, knirschte Bruno. »Und an Ort und Stelle erschossen.
Wenn ich ganz ehrlich bin, dann bluten wir allmählich aus. Wird Zeit, dass die Amerikaner mehr als nur ein paar Bomber schicken und Hitlers Mördertruppe endlich zum Teufel jagen.«
»Nun mal Tacheles, Bruno. Siehst du eine Chance, unseren
Plan doch noch zu verwirklichen?«
»Der Arzt aus Anzio ist mit unbekanntem Ziel verreist.«
»War mir klar. Dann muss ich mir wohl etwas Neues überle-
gen, um noch einmal an Manzinis Tresor heran …«
»Immer langsam, Kamerad. Die Resistenza ist ständig dabei, nach lohnenden Zielen Ausschau zu halten, um den Besatzern das Leben zu vermiesen. Wir haben da etwas Neues ausbaldowert, das dir nützlich sein könnte. Du erinnerst dich noch, was ich dir beim letzten Mal gesagt habe?«
»Dass ich dir für deine Hilfe etwas schulde. Ich stehe zu meinem Wort.«
Bruno hielt seinem Freund die Hand hin. »Versprochen?«
Nico schlug ein. »Versprochen.«
»Also gut. Dann sind wir ab jetzt Partner. Ich werde dir den Plan haarklein erklären. Du bekommst von mir eine Reiseerlaubnis mit echtem Wehrmachtsstempel und alles Übrige. Die Sache hat nur einen Haken.«
»Und der wäre?«
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»Wir sind da an den Dienstplan eines Militärarztes gebunden, der unsere Schlüsselperson ist. Der Mann wird übermorgen an einen anderen Frontabschnitt versetzt.«
Nico riss die Augen auf. »Aber das heißt ja …«
»Ganz richtig«, sagte Bruno mit ausdrucksloser Miene. »Morgen Abend muss die Operation steigen.«
Dicke Perlenschnüre aus Regentropfen gingen auf Nettunia
nieder. Nico fröstelte. Hoffentlich brach seine Malaria nicht ausgerechnet jetzt wieder durch! Seine Augen suchten den Himmel ab. Die Angriffe der alliierten Jagdbomber waren in den letzten Tagen immer häufiger geworden. Er hatte sich in einen viel zu großen Mantel aus Ölzeug gewickelt, ein Geschenk von Ennio Cardelli, dem Filmvorführer und ehemaligen Fischer aus Anzio.
Die wasserfeste Kleidung war auch nötig, denn der heimliche Späher lag im zugigen Keller einer Ruine am Rande der Stadt; das altersschwache Gebäude war ganz von allein eingestürzt. Es bot zwar wenig Schutz gegen Kälte und Feuchtigkeit, aber einen hervorragenden Ausblick auf das Kühlhaus.
Endlich rollten die Lastwagen heran, die den im Meer vor
Anzio gefangenen Fisch abholen und in die Castelli hinaufschaf-fen sollten. Generalmajor Wilhelm Raapke und seinen Stab gelüstete es nach frischen Meeresfrüchten. Aus dem Kübelwagen, der die Fahrzeugkolonne angeführt hatte, sprang ein Feldwebel der Wehrmacht. Er sprach Italienisch.
»Haben Sie die Ware?«
Der kahlköpfige Verwalter des Kühlhauses überreichte ihm
wortlos eine Liste.
Der Deutsche überflog kurz den Inhalt. »Wunderbar. Ich
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