Der Herr der Unruhe
Pfingstlern?«
»Was soll mit ihnen sein?«
»Die Leute von der Pfingstgemeinde sind zwar nicht nach
meinem Geschmack, aber sie tun niemandem etwas. Trotzdem ist letzte Woche eine Familie aus Anzio verschleppt worden.«
»Jetzt erzählst du mir wahrscheinlich gleich, dass sie die Pfingstler in ein Konzentrationslager gesperrt haben?«
»Nein, aber sie werden ins innere Exil geschickt.«
»Und was bedeutet das?«
»Verbannung alla Mussolini. Die Leute werden in abgelegene Dörfer gebracht und stehen unter Polizeibewachung. Wenn sie das Dorf verlassen, riskieren sie Gefängnis.«
»Ist das dein Ernst?«
»Die Bewegung hat viele Augen und Ohren, mein Freund.
Schließ dich uns an.«
Nico stöhnte. »Ein für alle Mal nein, Bruno. Aber ich danke dir trotzdem für deine Hilfe. Die Namenliste aus der Botschaft könnte der Schlüssel zu einem Kämmerchen sein, in das mich Manzini bisher nicht hat blicken lassen.«
»Und was soll sich darin befinden?«
Nico lächelte grimmig. »Don Massimilianos Strick.«
Bruno hatte viel geredet, und die Zeit war wie im Fluge vergangen. Er wolle sich bald ein anderes Versteck suchen, hatte er zum Abschied gesagt. Von den Kammern unter dem Torre Astura
wussten zwar nur wenige, aber auf Dauer war der Schlupfwinkel zu unsicher. Er versprach seinem Freund, sich wieder bei ihm zu melden.
Die Schönheiten Latiums flogen wie ein braungrüner Farben-175
schleier an Nico vorüber, als er nach Nettuno zurückfuhr. Die Vergangenheit schien mit eisigen Klauen nach ihm zu greifen Denunzianten gab es überall. Gehörte auch Manzini zu ihnen?
Hatte er mit Karl Hass telefoniert, um ihm Namen aus dem
Einwohnerverzeichnis der Stadt zu nennen. Namen von Juden oder anderen unbequemen Mitbürgern? Wartete er nur auf eine Gelegenheit, diese Menschen zu verraten? Er hatte schon einmal einen Juden kaltblütig getötet und sich nachher sein Haus angeeignet. War das die Antwort auf die Frage nach dem Warum?
Irgendetwas störte Nico an dieser Erklärung. Manzini hätte das Haus des Uhrmachers verkaufen oder vermieten können, stattdessen ließ er es leer stehen, die Tür verschlossen, die Fensterläden zugenagelt.
Mit fast einstündiger Verspätung traf Nico am Hintereingang von Manzinis Palazzo ein. Während er noch Albino aufbockte, öffnete sich schon die schwere Tür im Haus. Sein Herz machte einen Sprung. So war es immer, wenn Laura ihn anlächelte.
»Niklas! Endlich! Ich dachte schon, dir wäre etwas passiert.«
Er trat auf sie zu, nahm ihre Hände und drückte sie. Mehr Nähe durften sie sich nicht gestatten. »Ich bin aufgehalten worden. Was macht dein Vater?«
»Er hat getobt. Aber jetzt spricht er mit einem Besucher. Vermutlich wird er seinen Ärger über deine Verspätung nachher schon wieder vergessen haben. Geh schon mal vor. Vater hat vorhin etwas in der Kirche liegen lassen. Ich muss nur kurz zu Monsignor De Franceschi und komme gleich zu dir.«
Schweren Herzens gab er ihre Hände frei und betrat den Palazzo. Obwohl es erst zehn Tage her war, seit Don Massimiliano ihn mit seiner neuen Pflicht beauftragt hatte, vermochte sich Nico doch keinen Tag mehr ohne diese Besuche vorzustellen. Damit er nicht im Arbeitszimmer seines Vorgesetzten herumschnüffeln konnte, hatte ihm Manzini wie erhofft seine Tochter als Aufse-herin zugeteilt. Laura widmete sich ihrer Verantwortung mit großer Hingabe. Und weil die tägliche Pflege der Lebensuhr eine eher eintönige Beschäftigung war, boten sich den beiden umso 176
mehr Gelegenheiten zum Austausch von Gedanken und kleinen Zärtlichkeiten: ein flüchtiges Streicheln seiner Wange, eine Be-rührung ihrer Knie unterm Tisch – alles war zart und neu. Gestern erst hatte Nico die Uhr in Lauras feingliedrige Hände gelegt, um diese dann mit den seinen zu umschließen. »Spürst du den gleichmäßigen Schlag?«, fragte er sie. Laura schob ihre Lippen an sein Ohr und hauchte: »Ja, Niklas. Ich fühle es und würde ihn am liebsten in mir einschließen, um ihn nie wieder loszulassen.«
Allein die Erinnerung an diesen verzauberten Moment ließ
Nico erneut schwindeln, während er über die Treppen zur Galerie im ersten Stock hinaufstieg und sich geradewegs zu seiner Wirkungsstätte begab. Die Tür war geschlossen. Leise Stimmen drangen aus dem Raum, zu schwach, um sie zu verstehen. Der Besuch war also noch da. Nico verschränkte die Hände auf dem Rücken und spazierte ein paar Mal vor der Tür auf und ab. Ge-langweilt warf er einen Blick in den
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