Der Herr der Unruhe
anstellt?«
»Vielleicht mehr, als du dir vorstellen kannst, Bruno«, knurrte Nico. »Wieso hast du mich hierher gelockt?«
»Um dich für unsere Bewegung anzuheuern.«
»Fängst du schon wieder damit an!«
Bruno grinste. »War nur ein Versuch. Wirst sehen, irgendwann bekehre ich dich. Ich wollte dich einfach mal wieder sehen, amico mio. Deine schiefe Visage hat mir gefehlt.«
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Nico öffnete den Mund, brachte aber kein Wort heraus.
Stattdessen zog Bruno aus der Innentasche seiner braunen
Jacke einen Zettel, hielt ihn dem Freund entgegen. »Hier, für dich.«
Argwöhnisch musterte Nico das zweifach gefaltete Blatt. »Was ist das? Eine Beitrittserklärung zur Giustizia e Libertà?«
»Unsinn. Schau’s dir ruhig an. Die Lektüre bringt dich nicht um. Hoffe ich jedenfalls.«
Nico entfaltete das Blatt. »Eine Namenliste?«
»Aus der deutschen Botschaft in Rom.«
»Du hast es wirklich geschafft!« Rasch überflog Nico die
Einträge und murmelte schließlich: »Nirgends ein Karl Liebe zu finden.« Sein Zeigefinger schritt ein zweites Mal alle Karls ab, von denen es nicht weniger als fünf gab, und blieb jäh stehen.
»Hass!«
Bruno nickte und übersetzte das Wort in seine Muttersprache.
» Odio. Unser Kontaktmann spricht fließend Deutsch. Als ich ihm die kleine Denksportaufgabe gestellt habe, ist er zu demselben Schluss gekommen: Karl Hass muss Amore sein.«
»Fragt sich nur, was Manzini von ihm gewollt hat. Dein Spitzel hat dir nicht zufällig verraten, womit sich dieser Hass so beschäftigt?«
Bruno grinste. »Doch, hat er. SS-Sturmbannführer Karl Hass ist Herbert Kappler unterstellt – du findest ihn auch da irgendwo aufgelistet.«
»Kappler? Sollte mir der Name irgendwas sagen?«
»Er ist ein SS-Obersturmbannführer, den Heinrich Himmler, der ›Reichsführer SS‹, mit einem besonderen Auftrag nach Rom geschickt hat …«
»Mach’s nicht so spannend, Bruno. Wie lautet der Befehl?«
»Sich für die Internierung deutscher Juden einzusetzen, die nach Italien geflüchtet sind.«
»Hitlers Wunschdenken«, schnaubte Nico. »Mussolini hat
zwar offiziell die Einreise ausländischer Juden verboten, aber er duldet stillschweigend, dass sie Italien als Durchgangsland benutzen.«
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»Dieser Kappler soll sich bei unserem Faschistenpack aber noch für ein anderes Ziel stark machen.«
»Nämlich?«
»Den Bau deutscher KZs in Italien.«
Ein eisiger Hauch schien vom Meer herüberzuwehen. »KZs?«
»Konzentrationslager. Sammellager, in denen Juden wie Ar-
beitssklaven gehalten werden.«
Nico fröstelte. Warum nahm das kein Ende? Die österreichische Regierung hatte am 23. September 1934 eine Verordnung zur Einrichtung von so genannten »Anhaltelagern« erlassen. Sie dienten der Internierung politischer Häftlinge. Aber das war erst der Anfang. Am 1. April 1938, noch vor der Volksabstimmung zum Anschluss Österreichs an Deutschland, wurde ein erster
»Prominententransport« zusammengestellt. Verschiedene Wiener Lokalgrößen wie der Kabarettist Fritz Grünbaum verschwanden in Richtung Deutschland. Sie seien nach Dachau gebracht worden, hatte Nico von einem Kunden erfahren. Was sich in dem Münchener Vorort befand, wusste er nicht, aber er vermutete, ebenfalls ein Anhaltelager.
»Ich sage es ja nur ungern«, meldete sich erneut Bruno zu Wort, »aber was da passiert, überrascht mich nicht. Ich habe es dir prophezeit. Verstehst du jetzt, warum unsere Bewegung jeden braucht, dem etwas an Freiheit und Gerechtigkeit liegt?«
»Bitte!«, stöhnte Nico. Er war nicht dazu aufgelegt, schon wieder mit Bruno über das Thema zu streiten. »Ich habe bisher von keinen Übergriffen auf Juden in Italien gehört.«
»Meinst du, die faschistische Propaganda würde das an die große Glocke hängen?«
»Im März letzten Jahres hat Herman Göring bei einer Kund-
gebung in Wien erklärt, dass die Stadt innerhalb von vier Jahren
›judenrein‹ sein muss. Von Mussolini hört man nichts dergleichen.«
»Entschuldige, aber du bist ein Trottel, Nico. Da ist gerade ein Krieg losgebrochen, und in solchen Zeiten verschwimmen alle feinen Nuancen. Bald wird es nur noch schwarz und weiß 174
geben. Auf welcher Seite wirst du stehen, wenn dieser größenwahnsinnige Schnauzbart aus Berlin sagt: ›Wer nicht für uns ist, der kämpft gegen uns.‹?«
»Ich habe dir schon einmal erklärt, dass ich mich von niemandem vereinnahmen lasse, Bruno. Außerdem gehen mir deine Spekulationen zu weit.«
»Und was ist mit den
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