Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
Lächelnde Klinge annehmen mochte – ich war nicht gekommen, um zu verhandeln oder mich auf ein weiteres Tête-à-tête mit ihm einzulassen. Alles in allem war er kein ernst zu nehmender Gegner, und bloß um einem Mann, den ich hasste, zu sagen, dass ich ihn hasste, hätte ich den langen Weg nicht zurückgelegt.
Nein, ich war hier, um mich zu vergewissern, dass ich nicht umsonst eine ganze Stunde damit zugebracht hatte, in jedes der Fläschchen Koboldatem, die ich Beaconfield am Tag des Duells verkauft hatte, drei Körnchen Mutterhut zu geben. Schließlich hatte ich dem Doktor ein Ablenkungsmanöver versprochen.
Der Herzog war noch nicht draufgekommen, dass es zwischen mir und der Übelkeit, die seine Gäste befiel, einen Zusammenhang gab. Deshalb beschloss ich zu verschwinden, bevor ihm ein Licht aufging. Zumindest hatte ich die Genugtuung, dass ich mein Möglichstes getan hatte, um die vermutlich letzte Mittwinterparty der Lächelnden Klinge auch zur denkwürdigsten zu machen.
Ich verließ das Haus und machte mich auf den Weg in Richtung Unterstadt. Wenn es Kendrick nicht gelang, in Beaconfields Arbeitszimmer einzubrechen, während sich alle Gäste heftig erbrachen, dann war sein Ruf mehr als unverdient. Ich nahm den Joint aus meiner Tasche, steckte ihn mir zwischen die Lippen und zündete ihn trotz des Schnees an. Alles in allem war der Abend gut und wie geplant verlaufen.
Deshalb begriff ich auch nicht, warum ich auf dem ganzen Heimweg so bedrückt war und das nagende Gefühl nicht abzuschütteln vermochte, dass ich etwas vermasselt hatte.
42
Am nächsten Morgen packte ich mich warm ein und zog los, um mich mit dem Doktor zu treffen. Trotz des Sturms hatten meine Schritte eine Beschwingtheit wie seit Langem nicht. Sofern mein Dieb nicht völlig versagt hatte, würde ich die Frist, die mir der Alte gesetzt hatte, sogar um einen Tag unterbieten können. Das reichte aus, um mich den Schnee vorübergehend vergessen zu lassen.
Nachdem ich die Kneipe Daevas gute Werke betreten hatte, setzte ich mich in eine der hinteren Nischen und bestellte mir eine Tasse Kaffee. Wenige Minuten später kam der Doktor herein und wischte sich den vereisten Schnee von seinem dicken Wintermantel. Dann setzte er sich und steckte mir unter dem Tisch ein Bündel Papiere zu. »Aus dem Geheimfach in seinem Schreibtisch, das durch eine mit Fennaalgift bestrichene, herausschnellende Spitze gesichert war.«
»Ich hoffe, Sie fanden es schwierig und interessant genug«, sagte ich.
Er gab keine Antwort. Ich machte mich daran, die Papiere durchzusehen, die er mir gegeben hatte. Mairi mochte eine verräterische Hure sein, aber ihre Quellen waren nicht schlecht. Die erste Hälfte des Päckchens bestand aus den Finanzunterlagen des Herzogs. Man brauchte kein Buchhalter zu sein, um zu erkennen, dass er gewaltig in den roten Zahlen steckte. Damit hatte ich das Motiv.
Doch dann kam der eigentlich interessante Teil. Er umfasste die Korrespondenz zwischen Beaconfield und mehreren Männern, von denen ich wusste, dass sie für verschiedene ausländische Botschaften als Spione arbeiteten. Offenbar hatte sich der Herzog mit Verrat beschäftigt, bevor er dann zu Kindermord übergegangen war. Ob Miradin, Nestria oder das verdammte Dren – Beaconfield hatte versucht, an jedes einzelne Land auf dem Kontinent seine Seele zu verkaufen. Sehr weit war das Ganze in keinem Fall gegangen – wie die meisten Amateure im Bereich der Spionage verwechselte Beaconfield nämlich Klatsch und Tratsch mit echten Informationen. Genau genommen enthielten die Briefe nicht viel mehr als höfliche Absagen verschiedener untergeordneter Agenten, denen der Herzog seine Dienste angeboten hatte. Seine Unfähigkeit würde ihn natürlich nicht retten, wenn es zum Prozess kam, zumal bei einem Angehörigen des Hochadels auf jeglichen Kontakt mit einem ausländischen Emissär die Todesstrafe stand.
Das war zwar interessant, hatte aber keinen direkten Bezug zu den Morden. Und ich wusste, dass es dem Alten nicht reichen würde. Dazu hatte er mich zu sehr auf dem Kieker. Mein Herzschlag beschleunigte sich, und ich atmete mehrmals tief durch. »War das alles?«
Schon als Kendrick Platz genommen hatte, war mir aufgefallen, dass er von einer Gereiztheit war, die sich deutlich von der Liebenswürdigkeit unterschied, die er bei unserem ersten Gespräch an den Tag gelegt hatte. Auf meine Frage hin verfinsterte sich seine Miene noch mehr. »Nein, das war nicht alles. Bei Weitem nicht.« Unter
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