Der Herr des Traumreichs
Dunkelheit entgegen. Die Feuchtigkeit rann in glänzenden, tintenschwarzen Bächlein an den rauhen Wänden herab, Garth fuhr zusammen, als ein dicker Tropfen auf seinen Helm klatschte.
»Das Glomm schwitzt, Junge.« Jack lachte derb. »Die donnernde See ist noch hundert Schritt unter uns. Hier oben sind wir halbwegs sicher. Jedenfalls vor dem Wasser.«
Wieder lachte er, und Garth fragte sich, ob der Wärter wohl ganz bei Verstand war.
Eine Gruppe von Männern kauerte neben einer dunklen Stollenöffnung. Garth betrachtete sie neugierig. Sie waren zu neunt, und bis auf einen groben Lendenschurz waren sie alle nackt. Ihre Haut war so schwarz wie das Glomm. Das ist nicht ihre natürliche Farbe, dachte er, sondern der Staub. An den Füßen waren sie mit Ketten aneinander gefesselt.
»Diese Kolonne sollte eben hinunter, als die See durchbrach, verflucht sei ihr Name.« Ein Wärter trat aus dem Stollen und salutierte vor Jack. Der grinste. »Heute ist wohl ihr Glückstag.«
So wie die Männer aussehen, hat sie das Glück schon lange verlassen, dachte Garth, aber er sagte nichts.
»Wo sollen wir hin?« fragte Joseph.
Jack schniefte kurz und sah den neuen Wärter mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Ihr Handwerk verstehen sie beide, aber der Junge behandelt nur Knochenbrüche und Fleischwunden.«
»Davon gibt es für beide genug «, sagte der Wärter und wischte sich mit dem Ärmel über die Nase. Er sah so aus, als könne er selbst Hilfe gebrauchen. Quer über seine Wange zog sich eine blutige Schramme, und in seinem Oberarm klaffte eine zweite, noch tiefere Wunde. »Ich nehme den Älteren.
Weiter unten ist der Schacht eingebrochen und hat die Kolonne verschüttet. Jack, du gehst mit dem Jungen zur Sohle zweihundertfünf. Durch den Wassereinbruch hat sich der Druck so plötzlich verändert, daß das Hangende an mehreren Stellen eingebrochen ist. Die verfluchten Kerle sind mit ein paar Knochenbrüchen davongekommen, aber sie murren und rühren sich nicht von der Stelle, bevor sie nicht versorgt sind.«
Sie sollten sich trennen? Garth sah seinen Vater erschrocken an.
»Du schaffst das schon, Junge«, sagte Joseph und schaute ihm fest in die Augen. »Mach nur alles genauso, wie ich es dir gezeigt habe.«
Garth schluckte, dann nickte er.
»Außerdem«, sagte Jack unbekümmert und schmatzte noch lauter, »macht es nichts, wenn du einen oder zwei verlierst.
Die Adern sind ein gutes Übungsgelände. Alle Heilerschüler mästen die Friedhöfe – und das tun sie besser mit diesen verfluchten Seelen als mit den braven Bürgern über Tage.«
»Jack? Der Junge braucht Wasser. Um die Wunden auszuwaschen.«
Jack sprach mit einem der anderen Wärter, und der eilte davon. »Zumindest an Wasser herrscht hier kein Mangel. Bist du soweit, Junge?«
Wieder nickte Garth. Er wechselte einen letzten Blick mit seinem Vater, dann ließ er sich von Jack in einen Stollen schieben. Mehrere Wärter folgten ihnen.
Sie tasteten sich durch einen grob behauenen, abschüssigen Gang hinein in eine Finsternis, die jedes Zeitgefühl auffraß.
Alle zwanzig Schritte flackerte müde eine Fackel an der Wand, ohne jemals mehr als einen erbärmlich kleinen Fleck der pechschwarzen Dunkelheit zu trübem Grau erhellen zu können.
»Wie weit reichen diese Stollen, Jack?« fragte Garth nach einer Ewigkeit. Vielleicht konnte ein Gespräch die Dunkelheit besser in Schach halten, als es die Fackeln vermochten.
»Noch eine halbe Meile geradewegs nach unten, Junge. Eine halbe Meile weit sind wir schon unter der Erde.«
Garth stolperte vor Schreck. »Aber das würde ja bedeuten…!«
»Richtig«, brummte Jack. »Wir befinden uns bereits weit unter dem Meer. Aber es besteht keine Gefahr. Die See, verflucht seien ihre mörderischen Wellen, wird nicht weiter vorrücken. Nur die unteren Sohlen sind überschwemmt, hier oben ist alles trocken.«
Garth wog seine Tasche in der Hand. Von hinten hatte ein Wärter mit zwei Eimern aufgeschlossen, aus denen das Wasser schwappte. Vermutlich Seewasser, dachte Garth. »Geschieht das oft?«
»Daß das Meer in die Adern einbricht? Oft genug. Im allgemeinen ein-oder zweimal im Jahr. Die Stollen zweigen strahlenförmig von den Hauptschächten ab und erstrecken sich fast eine Meile weit nach allen Richtungen. Da gibt es viele Stellen, wo die See das Hangende durchstoßen kann.«
»Das Hangende?« keuchte Garth. Die warme, feuchte Luft trieb ihm den Schweiß aus allen Poren.
Jack schlug mit der Hand gegen die
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