Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr des Traumreichs

Der Herr des Traumreichs

Titel: Der Herr des Traumreichs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Douglass
Vom Netzwerk:
jetzt auf seinen Mantel.
    »Den läßt du besser hier, mein Junge. Er ist dir da unten nur im Weg.«
    Joseph nickte Garth zu, warf seinen eigenen Mantel von sich und krempelte sich die Hemdsärmel hoch. »Da unten ist es warm, Garth.«
    Gleich darauf begannen über ihnen die Winden zu kreischen und zu ächzen. Eine große Kiste, im Nebel nur undeutlich zu erkennen, polterte aus dem Schacht, der sich vor ihren Füßen auftat.
    »Hinein mit dir!« Jack gab Garth einen Stoß, und der Junge sprang in den Aufzug und stellte sich neben seinen Vater. Die anderen Wärter drängten sich hinter ihnen herein. Der Korb, ein grob zusammengeschweißter Eisenkäfig, über den sich ein dichtes, stark verrostetes Drahtnetz spannte, schwankte stark.
    Garth befürchtete, die Ketten, von denen er gehalten wurde, wären von der Seeluft so angegriffen, daß sie jederzeit reißen könnten. Dann würde der Fahrstuhl mit seinen Insassen haltlos in die Tiefe stürzen.
    »Sind noch andere Heiler unten?« wandte sich Joseph an Jack.
    Der Mann hatte ein irres Grinsen im Gesicht. »Ja. Fünf oder sechs. Aber zwei davon waren in den Stollen, in die das Wasser eingebrochen ist. Meer und Glomm haben sie gefressen. Kein schöner Tod, wenn man in Nässe und Finsternis vom Hangenden zerquetscht wird.« Er tat die Tragödie mit einem Achselzucken ab. »Das ist eben Schicksal.
    Es kann auch uns treffen.«
    Garth fühlte sich hundeelend. Sein Vater packte seinen Arm noch fester. »Aha«, sagte er. Nebelschwaden trieben in den Käfig und legten sich um die Insassen.

    »Kann der Junge eigentlich irgendwas tun?« fragte Jack skeptisch. Wieder tat der Käfig einen Satz, und Garths Magen tat es ihm nach. Über ihnen winselten und kreischten die Winden.
    »Er ist mein Sohn und mein Schüler«, gab Joseph so ruhig zurück, als stünden sie am Ufer eines Bächleins und unterhielten sich über das Angeln. »Bis hin zu Knochenbrüchen kann er alles behandeln, Quetschungen, innere Verletzungen und innere Blutungen beherrscht er noch nicht.«
    »Da unten finden sich bestimmt genügend gebrochene Knochen und Fleischwunden, um ihn bis zum Frühstück zu beschäftigen.« Jack lachte rauh, und zwei von den anderen Wärtern stimmten ein. »Wenn er dann noch Appetit darauf hat.
    Du bist zum ersten Mal hier unten in den Adern, mein Junge?«
    Garth nickte, sprechen konnte er nicht. Der Käfig setzte sich langsam in Bewegung.
    Jack knurrte etwas, und der Käfig sackte ab.
    Er fiel wie ein Stein durch einen rauschenden Wasserfall.
    Garth schrie auf und klammerte sich an seinen Vater. Die Welt schien aus den Fugen zu geraten – es klang und roch auch danach, denn neben sich hörte er Jacks Gelächter, und von unten drangen körperlose Stimmen, das Klirren noch seltsamerer Maschinen und, zehnfach verstärkt, der üble Geruch herauf, den er schon an der Oberfläche festgestellt hatte. Doch am schlimmsten war das Tosen dieser wütenden Brandung – unter ihren Füßen!
    »Halt«, sagte Jack nach einer Ewigkeit, und der Aufzug hielt tatsächlich an. Garth begriff erst jetzt, daß es im Inneren eine Vorrichtung gab, mit der er sich steuern ließ.
    »Weiter unten würden wir ertrinken«, bemerkte Jack wie nebenbei und zwinkerte einem anderen Wärter zu. Er hatte etwas im Mund, an dem er kaute. Das leise Schmatzen versetzte Garths Magen erneut in Aufruhr.
    »Arbeiten die Pumpen?« fragte Joseph.
    Jack nickte. Die Fackeln warfen unheimliche Schatten auf sein Gesicht. »Ja, aber sie brauchen sicher bis morgen früh, um die Stollen vom Meerwasser frei zu bekommen. Und wenn die Rohre mit Leichen verstopft sind, noch länger.«
    Garth legte die Stirn gegen eine der kühlen Eisenstangen und kämpfte gegen seine Übelkeit an.
    »Garth«, flüsterte ihm Joseph hastig ins Ohr, als Jack die Tür öffnete und die Wärter hinauswinkte. »Da unten ringen Menschen mit dem Tod. Für die Verstorbenen können wir nichts tun – ihnen ist es auch gleichgültig, wenn ihre Leichen irgendein Rohr verstopfen –, aber die Lebenden haben Schmerzen und fürchten sich nicht weniger als du. Aber du kannst diese Hölle morgen früh wieder verlassen. Verstehst du?«
    Garth nickte. »Ja«, sagte er und richtete sich auf. »Es tut mir leid, Vater. Ich schaffe es schon.«
    »Braver Junge.« Joseph drückte ein letztes Mal seinen Arm, dann schob er ihn aus dem Fahrstuhl.
    Sie traten in eine Höhle, die aus dem rohen Fels herausgehauen war. Mehrere Stolleneingänge gähnten ihnen wie hungrige Mäuler aus der

Weitere Kostenlose Bücher