Der Herr des Traumreichs
Vielleicht ein Hinweis, wie die Forderung vorzubringen ist?«
Garth fuhr stirnrunzelnd mit dem Finger die Zeilen entlang.
Dann brummte er etwas vor sich hin und rollte das Pergament weiter auf.
»Verdammt!« fluchte er mit Inbrunst. »Nichts mehr. Ein ganz anderes Thema.« Er hob den Kopf und grinste. »Wie eine Frau herausfinden kann, welcher von zwei Brüdern den besseren Gatten abgäbe.«
Ihre Mundwinkel zuckten, aber sie sagte nur: »Sumpffrauen heiraten nicht.«
Garths Grinsen wurde noch breiter, doch er beugte sich wieder über die Rolle. Er hatte noch mindestens zwei Drittel der Rolle vor sich und wollte keinen Eintrag überspringen.
Vielleicht gab es ja doch noch einen Hinweis auf den Manteceros.
Wenn nicht, überlegte er trübsinnig, müßten sie sich wohl jedes Buch in der Bibliothek einzeln vornehmen, denn die aussichtsreichsten Bände hatte er bereits zusammen mit Harrald durchsucht und alle Hinweise zusammengetragen, die sich darin finden ließen. Irgendwo mußte das Rätsel doch wohl erwähnt sein…
Wenn sie alle Bücher durchsähen, hätten sie jedenfalls bis zum Frühjahr eine sinnvolle Beschäftigung und wären gut aufgehoben, bis der nächste Aufruf zum Dienst in den Adern erging.
»So kommt Ihr nicht weiter«, sagte eine Stimme leise. Garth und Ravenna hielten beide noch die Köpfe über die Schrift gebeugt. Nun spürte jeder eine Hand auf der Schulter. Sie fuhren erschrocken in die Höhe.
Hinter ihnen stand ein hochgewachsener, hagerer Mönch.
Das schwarze Haar war so lang, daß es ihm über die stechenden schwarzen Augen fiel. Er hatte die Hände sofort wieder zurückgezogen und sie in den weiten Ärmeln seiner Kutte verschwinden lassen.
»Wie meint Ihr das?« fragte Ravenna verärgert. Die unerwartete Störung hatte sie ein wenig aus der Fassung gebracht. Doch weder der Mönch noch Garth beachteten sie jetzt.
»Ihr!« hauchte Garth erschüttert.
Der Mönch lächelte mit einer Kälte, die Garth und Ravenna erschauern ließ.
Das Mädchen aus den Sümpfen sah von einem zum anderen.
»Was geht hier vor?«
»Es ist der Straßenhändler«, flüsterte Garth. Er überlegte, ob er Ravenna an der Hand nehmen und mit ihr fliehen sollte.
Seine Füße scharrten bereits unter der Bank auf dem Boden.
»Von dem ich das Medaillon bekommen habe.«
»Das der junge Herr immer noch um den Hals trägt. Ich spüre es.« Das Lächeln des Mönchs war etwas wärmer geworden.
»Wie?« Ravenna war immer noch verwirrt. »Sagtest du›Händler‹?«
Der dicke Mönch, der ihnen die Schriftrolle gebracht hatte, tauchte hinter seinem hageren Amtsbruder auf.
»Stimmt etwas nicht, Bruder Vorstus?«
Bruder Vorstus – falls er denn wirklich so hieß – wandte sich dem Dickwanst zu. »Alles in bester Ordnung, Bruder Jorgan.
Meine jungen Freunde hier sind mit der Handschrift fertig. Ihr könnt sie gleich wieder an ihren Platz zurücklegen.«
Garth wollte protestieren, doch Vorstus grub ihm die Finger so schmerzhaft in die Schulter, daß er nur leise aufquiekte, als Bruder Jorgan sich vorbeugte und mit beiden Händen nach der Rolle griff.
»Bleibt Ihr noch länger bei uns, Bruder Vorstus?« fragte Jorgan gesprächsweise, während er das Pergament sorgfältig zusammenrollte.
Vorstus’ Hand umklammerte immer noch Garths Schulter.
Ravenna bemerkte eine seltsame Tätowierung auf dem Rücken seines Zeigefingers. »Einige Wochen noch, mein Freund. Bis zum Frühjahr, denke ich. Dann muß ich wohl nach Norden zurück, wo dringendere Aufgaben auf mich warten.«
Jorgan war mit dem Aufrollen fast fertig. »Wir werden Euch vermissen, Bruder Vorstus. Eure Kommentare zu einigen schwierigeren Werken in unserer Bibliothek waren unserem Verständnis sehr förderlich.«
Vorstus verneigte sich leicht und lächelte selbstironisch.
»Man tut, was man kann, Bruder Jorgan. Sagt, ist der hintere Besprechungsraum noch frei? Ich würde mich mit meinen jungen Freunden hier gern ein Weilchen ungestört unterhalten.«
Garth hatte es allmählich satt, von diesem Menschen als
›junger Freund‹ tituliert zu werden, aber er kniff doch nachdenklich die Augen zusammen. Der Mann wollte mit ihnen reden?
»Gewiß doch, Bruder Vorstus. Fertig! Dann lasse ich Euch jetzt allein.« Bruder Jorgan verneigte sich und ging, um die Schriftrolle aufzuräumen.
Vorstus nahm die Hand von Garths Schulter. »Ich kann alles erklären«, sagte er ruhig, machte auf dem Absatz kehrt und strebte dem hinteren Teil des großen Saals zu.
Garth und
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