Der Herr des Traumreichs
waren Musik und Philosophie, Forschungen und Theorien, Träume und Wissen aller Art Escators wichtigste Ausfuhrgüter. Nun ernährt das schmutzige Glomm unsere Bevölkerung und füllt Ruens Schatztruhen mit klingender Münze.«
Er hielt inne und seufzte tief auf. »Vor zehn Generationen wurden an der Küste bei Myrna große Glommvorkommen entdeckt. Die ersten Bohrungen waren so vielversprechend, daß man die Schächte – die Adern – tief in die Erde vortrieb.
Das Haus Persimius entzog den Wissenschaften seine Unterstützung und steckte die Gelder in die Glommförderung –
Sträflinge arbeiten erst seit wenigen Generationen in den Minen. Vor wilder Gier nach Reichtum, der durch das Glomm ins Land kam, ließ man Hochschulen und Akademien verfallen.« Er hielt inne. »Unendlich viel Wissen, unendlich viel Gelehrsamkeit gingen verloren. Heute ist aus jenen erhabenen Zeiten geistiger Blüte nur noch diese Bibliothek erhalten geblieben. Diese Bibliothek… und der Persimius-Orden.«
Wieder herrschte minutenlang Stille. Vorstus war tief in Gedanken versunken, und weder Ravenna noch Garth wagten ihn zu stören.
»Unsere Künste, Junge?« Garth löste den Blick von den Flammen und sah den Mönch an. »Künste? Eher Kunststücke, aber bisweilen von verblüffender Wirkung.« Vorstus’ Lächeln war nun so warm und freundschaftlich, daß Garth es unwillkürlich erwiderte. »Natürlich nicht zu vergleichen mit den Fähigkeiten, die Ravenna an den Tag legt. Aber ausreichend, um schnell von einem Marktplatz zu verschwinden und – manchmal – Gedanken zu lesen. Ihr seid noch jung, Garth, und habt noch nicht gelernt, Euch zu verstellen. Deshalb sind Eure Gedanken für mich oft wie ein offenes Buch. Die Euren dagegen, junge Frau« – sein Blick richtete sich auf Ravenna –, »verhüllt ein Nebel, so dicht wie in Eurem Niemandsland.«
Ihre Lippen verzogen sich zu einem geschmeichelten Lächeln, und sie senkte den Kopf.
Garth lenkte das Gespräch wieder auf das Haus Persimius zurück. »Die Könige waren also verantwortlich für den Niedergang der Wissenschaften und für den Bau der Glomm-Minen?«
»Ganz ohne Zweifel, Garth Baxtor. Wäre es nicht so tragisch, ich würde es als Ironie des Schicksals betrachten, daß nun ausgerechnet einer von ihnen unter dem Hangenden arbeiten muß. Vielleicht…« Er verstummte.
Garth beugte sich vor. »Vorstus? Könnt Ihr mir erklären, wie Maximilian so lange in den Adern überleben konnte? Mein Vater sagt, gewöhnlich hält kein Mensch länger als fünf Jahre unter dem Fels aus – und schon das ist ungewöhnlich.«
»Es ist die Tinte, mit der sein Arm gezeichnet wurde, Garth.
Die Tätowierung wird immer von einem Mönch und immer mit der gleichen blauen Tinte ausgeführt. Sie wird sorgsam gehütet, sie hat… besondere Eigenschaften. Unter anderem schützt sie vor Mord. Wer immer Maximilian entführte, hätte ihn nicht töten können, sosehr er es auch gewünscht haben mag. Kein Wunder also, daß man ihn in die Glomm-Minen warf. Doch selbst dort scheint ihn das Mal unter dem Narbengewebe zu beschützen.«
»Mein Vater sprach von Gerüchten, wonach die Tinte für das Mal mit dem Blut des Manteceros hergestellt würde.«
Doch darauf lächelte Vorstus nur und schlug die Augen nieder.
»Einer von Euch muß Cavor mit dem Mal gezeichnet haben«, sagte Garth langsam.
»Gewiß. Aber wir hielten Maximilian für tot. Und Cavor war der nächste in der Thronfolge – auch wenn das Persimius-Blut nur stark verdünnt durch seine Adern fließt.«
Garth nickte. »Als ich mit meinem Vater in Ruen war, behandelten wir seinen Arm, Vorstus. Sein Körper wehrt sich gegen das Mal. Es eitert und bereitet ihm große Qualen.«
»Tatsächlich?« Vorstus setzte sich auf. »Das wußte ich nicht.«
»Vielleicht schwärt Cavors Mal, weil es ein zweites gibt, das schwer beschädigt wurde«, sagte Ravenna nachdenklich. Sie hatte bisher schweigend zugehört, doch nun beugte sie sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und das Kinn in die Hände. Ihr langes schwarzes Haar glänzte im Feuerschein.
»Vielleicht sind die beiden Male und die beiden Männer durch die Tinte miteinander verbunden.«
»Mag sein«, sagte Vorstus und musterte sie unter halb geschlossenen Lidern.
Garth überhörte die Antwort und übersah den Blick.
»Vorstus?« Der Mönch wandte sich ihm zu. »Maximilian behauptet, er sei nicht der wahre Erbe. Er bestreitet sogar, Maximilian zu sein.«
Vorstus runzelte die Stirn.
Weitere Kostenlose Bücher