Der Herr des Traumreichs
wollt. Sträfling Nummer achthundertneunundfünfzig kam damit in Berührung, aber er steckte sich nicht an. Ich teilte seiner Kolonne die unbeherrschtesten Wärter zu, und sie prügelten die Sträflinge zu beiden Seiten von Nummer achthundertneunundfünfzig zu Tode. Doch ihm krümmten sie kein Haar. Ich schickte ihn auf Sohlen, wo sich das Hangende unter dem Gewicht der Erde nach unten wölbte, und die Gänge brachen ein und begruben alle unter sich – nur ihn nicht. Sträfling Nummer achthundertneunundfünfzig hat alles überlebt.«
Cavors Gesicht wirkte nun eingefallen. »Der Manteceros«, sagte er wie zu sich selbst. »Das Königsmal beschützt ihn.«
»Ihr wart dabei«, brummte Furst verächtlich. »Ihr habt gesehen, wie man ihm das Brandeisen auf den Arm drückte.
Ihr habt ihn schreien hören. Ihr habt euch den Arm angesehen.
Das Mal ist nicht mehr da.«
Cavor schwieg, doch seine Finger kratzten wieder an seinem rechten Arm. Furst beobachtete ihn mit unruhig flackernden Augen. »Das Mal ist nicht mehr da«, wiederholte er.
»Seid Ihr sicher?«
»Alle zwei bis drei Jahre habe ich mir den Mann selbst angesehen, Sire. Wo einst der Manteceros prangte, wuchert nun eine wulstige Narbe.«
»Ich weiß nicht«, flüsterte Cavor. Was war mit den Träumen, die ihn in den letzten Monden gequält hatten? Ein Zufall?
»Es gibt nichts, woran er zu erkennen wäre«, versicherte Furst. »Falls er selbst noch weiß, wer er ist, hat er keine Möglichkeit, auch andere davon zu überzeugen. Wer würde einem aus den Adern entsprungenen Verrückten auch nur ein Wort glauben?« Der Aufseher überlegte kurz, dann brüllte er vor Lachen. »Niemand!«
Cavor starrte den Mann an. Jetzt wußte er wieder, warum er ihn verabscheute. Er durfte seinen fadenscheinigen Beteuerungen keinen Glauben schenken. Ein lebender Maximilian, ein Maximilian in Freiheit – das war nichts Geringeres als eine Katastrophe.
Seltsamerweise verlieh diese Erkenntnis Cavor neue Kräfte.
Er ließ die Hand sinken und richtete sich in seinem Sessel auf.
»Wir werden ihn wieder einfangen«, sagte er mit fester Stimme und entschlossener Miene.
Furst zuckte die Achseln. Die Sache lag jetzt in den Händen des Königs. Er konnte das Thema wechseln. »Ist Baxtor schon eingetroffen, Sire? Er brach etwa fünfzehn Stunden vor mir auf, aber wir haben ihn nicht überholt. Wenn er vor uns hier ankam, muß er ebenso schnell geritten sein wie wir.«
»Hmm?« Cavor blickte auf. Er war in Gedanken noch bei Maximilian gewesen. »Was sagtet Ihr eben?«
»Joseph Baxtor«, wiederholte Furst geduldig. »Er müßte längst hier sein. Er ist am Morgen nach seiner Flucht abgereist.«
Cavor runzelte die Stirn. »Nein, Baxtor hat sich nicht gemeldet.«
»Wo mag er dann…?«
»Wartet!« fauchte Cavor und hob die Hand. »Laßt mich nachdenken.«
Wenig später überschwemmte eine Flut vernichtender Erinnerungen sein Bewußtsein. Die beiden Baxtors, wie sie ihn mit so beredter Zunge beschworen, sie wenigstens noch dieses eine Mal zu den Adern reisen zu lassen. Garth Baxtor, wie er sich erkundigte, in welcher Form der Anspruch auf den Thron zu erheben sei. Und schließlich fiel ihm noch ein, daß Joseph Baxtor, als er noch bei Hofe lebte, den kleinen Maximilian gekannt haben mußte.
»Ihr Götter!« flüsterte er zu Tode erschrocken. Warum hatte er dem verdammten Heiler nicht verboten, in die Glomm-Minen einzufahren? Nur deshalb, weil er Maximilian für tot gehalten hatte.
Er sprang auf und schrie nach der Wache. Dann drehte er sich um und packte Furst an der Schulter.
»Was ist?« keuchte der Aufseher.
»Wir gehen auf die Jagd«, verkündete Cavor grimmig, doch in seinen Augen glühte ein grausames Feuer. »Verdammt, ich werde Maximilian finden, und wenn ich dazu das ganze Königreich auseinanderreißen müßte!« Er trat an die Tür und riß sie auf. »Wache!«
Im Wald
Maximilian ermüdete schnell, und so dauerte es letztlich doch fast drei Tage, bis sie die Königlichen Wälder erreichten. Das Fieber in seinem Innern brannte Tag und Nacht. Sie mußten jede halbe Stunde haltmachen, damit er sich ausruhen und sie ihm kühles Wasser einflößen konnten. Sooft Joseph oder Vorstus vorschlugen, er möge doch eines der Pferde besteigen, wehrte sich Maximilian so verzweifelt, daß sie schließlich aufgaben, ihn zum Reiten bewegen zu wollen, und sich lieber seinen zunehmend unsicheren Schritten anpaßten.
»Es ist das Mal«, flüsterte Joseph am dritten Tag, nachdem sie Myrna
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