Der Herr des Traumreichs
verlassen hatten, seinen Gefährten zu. Sie hockten um ein kleines Lagerfeuer. Maximilian hatte sich etwas abseits unter einer Decke zusammengerollt. »Es lodert unter der Narbe, und das Fieber verbrennt seinen ganzen Körper. Wenn wir nicht bald ein sicheres Versteck finden, wo er sich ausruhen kann…«
Vorstus schaute nach Osten, doch der Horizont lag im Dunkeln. Die Sorge darüber, daß sie so lange brauchten, um die halbwegs sicheren Wälder zu erreichen, nagte an seinem Seelenfrieden wie eine ausgehungerte Ratte an der verschlossenen Speisekammertür, aber er ließ sich nichts anmerken. Wozu die anderen noch mehr beunruhigen?
»Morgen sind wir am Ziel, Joseph. Wenn wir einige Stunden vor Sonnenaufgang aufbrechen, erreichen wir den schützenden Wald, bis es hell wird.«
»Wird er uns denn schützen?« fragte Garth und sah zu Vorstus auf. Er saß dicht bei Ravenna und wärmte sich die Hände an den kümmerlichen Flammen. Sein Blick war sehr ruhig und sehr fest.
Der Mönch konnte ihm nicht standhalten. »Besser als das offene Hügelland, Garth. Der Orden unterhält ein kleines Haus
– eigentlich nicht mehr als die Hütte eines Waldhüters – etwa zwei Wegstunden im Waldesinnern. Die Hütte ist in eine Felswand hineingebaut und gut getarnt. Dort müßten wir einigermaßen sicher sein.«
Garth nickte, senkte den Blick und beobachtete, wie der Schein der Flammen über seine Hände spielte. Seit Tagen rechnete er bei jedem Atemzug damit, die Hufschläge der Verfolger zu hören. Mit Ausnahme Maximilians, der ganz und gar mit sich selbst beschäftigt war, fuhren auch die anderen bei jedem unerwarteten Geräusch, jedem Schatten zusammen, selbst wenn es nur ein Vogel war, der aus dem Unterholz aufflog.
Ravenna lächelte und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Garth, es wird…«
Sie unterbrach sich. Weit im Süden zuckte ein Blitz durch die Nacht, ein Knistern war zu hören. Ein schneller Blick zu Vorstus, dann stand sie wie die anderen auf und spähte zu der Stelle, wo das Licht eben noch den Himmel erhellt hatte.
»Was mag das sein?« wandte sich Joseph an Vorstus, während Garth sich bückte und Maximilian wachrüttelte. Der Prinz rollte sich ächzend herum und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Als er die besorgten Gesichter sah, ging er auf die Knie.
»Ich weiß es nicht«, sagte Vorstus leise. »Vielleicht sollten wir…«
Wieder zuckte ein silberner Blitz über den Himmel. Ravenna atmete erleichtert auf. »Alles in Ordnung«, sagte sie. »Das kommt von Venetia.«
Garth sah sie erstaunt an und schaute gleich wieder in die Nacht hinaus.
»Ach so«, sagte Maximilian und ließ sich müde zu Boden fallen. »Die Silberkugel kehrt zurück.«
Ravenna lächelte ihm zu. »Ja, Maximilian. Das Licht kommt wieder.«
»Schickt sie Nachricht von Nona?« fragte Joseph. Die Sorge um seine Frau hatte ihn in den vergangenen Nächten stundenlang wach gehalten; nun waren seine Augen verquollen und von dunklen Ringen der Erschöpfung umgeben.
»Wir werden sehen«, sagte Ravenna freundlich. Sie war überzeugt, daß es ihrer Mutter gelungen war, Nona heimlich aus Narbon wegzuholen – sicher wäre Venetia aus keinem anderen Grund das Wagnis eingegangen, dieses Licht zu schicken –, aber sie wollte erst Gewißheit haben, bevor sie Joseph und Garth Hoffnungen machte.
Wieder leuchtete der Himmel silbern auf, diesmal war das Licht schon viel näher, und wenig später raste gleich einem wild gewordenen Mond eine leuchtende Kugel über die nächste Hügelkuppe und schwebte in Ravennas Hände.
Lächelnd drückte sie das Gebilde an die Brust und hielt leise Zwiesprache damit. Die Kugel flammte einmal, zweimal so grell auf, daß sie im Umkreis von fünfzig Schritt die gesamte Landschaft erhellte – Vorstus fuhr herum und fluchte leise; wie weit war dieses Feuerwerk zu sehen gewesen? Wenn etwa eine halbe Meile hinter ihnen Soldaten wären…
»Nur ruhig, Vorstus!« sagte Ravenna leise. Die Kugel in ihren Armen erlosch und fiel in sich zusammen; Gesicht und Hals des Mädchens sogen ihr Licht in sich auf. »Niemand hat etwas bemerkt.«
»Was ist mit Nona?«
Ravenna wandte sich an Joseph. Die leuchtende Silberkugel war jetzt völlig verschwunden. »Sie ist in Sicherheit«, lächelte das Mädchen. Joseph und Garth wurden sichtlich ruhiger.
»Allerdings gefällt es ihr im nebligen Sumpf nicht besonders gut, und sie sehnt sich nach ihrer Küche zurück.«
Joseph holte tief Atem. »Ich danke Euch, Ravenna. Euch und Eurer
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