Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
anderen Sippen und auch von seinem Lieblingsvolk, dass sie Massaker, Seuchen und sogar die Ausrottung über sich ergehen ließen, doch wenn sich das Grab über seinen Opfern schloss, war er fertig mit ihnen – es sei denn, er hatte die Geistesgegenwart besessen, ihre Nachkommen zu verfluchen. Erst mit der Ankunft des Friedensprinzen kommt die grauenhafte Vorstellung weiterer Bestrafung und Folter der Toten auf. Der von Johannes dem Täufer angekündigte Sohn Gottes verdammt, wenn seine milden Worte nicht auf Anhieb Gehör finden, den Widerborstigen zu ewigem Höllenfeuer. Daraus beziehen seither klerikale Sadisten ihre Texte, und der Islam nimmt in seinen Tiraden diese Vorstellung genussvoll auf. Von Dr. King gibt es ein Foto, auf dem er in einer Buchhandlung gelassen auf einen Arzt wartet, während ihm das Messer eines Verrückten in der Brust steckt. Trotzdem drohte er denen, die ihn verletzten oder beleidigten, nie auch nur andeutungsweise Rache oder Strafe an, sei es in dieser Welt oder der nächsten, einmal abgesehen von den unmittelbaren Folgen ihrer Selbstsucht und Dummheit. Und sogar diese formulierte er höflicher, als es die von ihm Angesprochenen meiner bescheidenen Meinung nach verdienten. Im realen Sinne, im Gegensatz zum nominalen, war er somit kein Christ.
Seine Bedeutung als herausragender Prediger schmälert das nicht im Geringsten, ebenso wenig wie der Umstand, dass er wie wir alle ein einfaches Säugetier war, das wahrscheinlich seine Doktorarbeit abschrieb und bekanntermaßen eine Vorliebe für Schnaps hatte und für Frauen, die deutlich jünger waren als seine Angetraute. Den Rest seines letzten Abends feierte er ausschweifend, was ich ihm nicht vorwerfe. Solches Verhalten mag die Gläubigen stören, ist aber insofern recht ermutigend, als es beweist, dass großartige moralische Errungenschaften nicht zwingend einen moralisch einwandfreien Charakter voraussetzen. Wenn aber Dr. Kings Beispiel oft als Beweis für die Behauptung herangezogen wird, dass Religionen eine erhebende und befreiende Wirkung haben, dann sollten wir uns diese Behauptung einmal näher ansehen.
Zur denkwürdigen Geschichte des schwarzen Amerika ist zunächst einmal festzuhalten, dass die Sklaven nicht Gefangene eines Pharaos waren, sondern mehrerer christlicher Staaten und Gesellschaften, die viele Jahre lang ein Dreiecksgeschäft zwischen der Westküste Afrikas, der Ostküste Nordamerikas und den Hauptstädten Europas betrieben. Diese gigantische und grauenhafte Industrie war von allen Kirchen abgesegnet und erregte lange Zeit keinen Widerspruch vonseiten der Religionen. Ihr Gegenstück, der Sklavenhandel im Mittelmeer und in Nordafrika, wurde vom Islam ausdrücklich gutgeheißen. Im 18. Jahrhundert forderten zunächst einige wenige abweichlerische Mennoniten und Quäker sowie Thomas Paine und andere Freidenker die Abschaffung der Sklaverei. Thomas Jefferson, der darüber nachsann, wie die Sklaverei die Herren korrumpierte und brutalisierte und die Sklaven ausbeutete und quälte, schrieb: »Ich zittere für mein Land, wenn ich daran denke, dass Gott gerecht ist.« Diese Aussage war so unlogisch wie denkwürdig, gab es doch angesichts eines wunderbaren Gottes, der auch gerecht war, auf lange Sicht keinen Anlass zum Zittern. Immerhin tolerierte der Allmächtige die Situation, während viele Generationen unter der Peitsche zur Welt kamen und starben, bis die Sklaverei nicht mehr genug Gewinn abwarf und sogar das britische Königreich sich ihrer entledigte.
Das ließ den Abolitionismus wieder aufkeimen. Die Bewegung nahm bisweilen christliche Form an, am bekanntesten im Falle des William Lloyd Garrison, des großen Redners und Gründers der Zeitschrift Liberator. Mr. Garrison war zwar in jeder Hinsicht ein großartiger Mensch, doch man kann wohl von Glück sagen, dass seine frühen religiösen Ratschläge allesamt nicht befolgt wurden. Er stützte sich dabei auf den gefährlichen Vers aus dem Zweiten Korintherbrief, in dem die Gläubigen aufgefordert werden: »Darum gehet aus von ihnen und sondert euch ab«, der im Übrigen auch Ian Paisleys fundamentalistischen und bigotten Presbyterianismus in Nordirland theologisch unterfütterte. Garrison betrachtete die Union und die Verfassung der Vereinigten Staaten als »Bund mit dem Tod«, den es zu zerstören galt; praktisch forderte er die Sezession, ehe es die Konföderierten taten. Später entdeckte er Thomas Paines Schriften, predigte weniger und kämpfte stattdessen für die
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