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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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Abschaffung der Sklaverei und die Einführung des Frauenwahlrechts. [FUSSNOTE49]
    Der entflohene Sklave Frederick Douglass, Autor der mitreißenden und bissigen Autobiography, forderte dagegen unter Vermeidung einer apokalyptischen Sprache, dass die USA die in der Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung enthaltenen universalistischen Versprechen auch einlösten. Der löwenähnliche John Brown, der in jungen Jahren ebenfalls ein furchterregender und unbarmherziger Calvinist gewesen war, tat es ihm gleich. Er hatte Paines Schriften stets bei sich im Lager, ließ in seiner winzigen, aber epochalen Armee Freidenker zu und verfasste und druckte nach dem Vorbild der Unabhängigkeitserklärung von 1776 eine neue Erklärung für die Sklaven. Das war eine erheblich revolutionärere und auch realistischere Forderung, die, wie Lincoln einräumte, den Weg für die Emanzipationserklärung ebnete. Douglass stand der Religion zwiespältig gegenüber. In seiner Autobiography schrieb er, dass die frommsten Christen die schlimmsten Sklavenhalter seien. Wie zutreffend diese Aussage war, bestätigte sich nach der Sezession, als die Konföderierten sich als Motto die Worte »Deo Vindice« wählten, »Gott auf unserer Seite«. Lincoln betonte in seiner sehr umstrittenen Rede zum Antritt seiner zweiten Amtszeit, dass sich beide Kontrahenten, zumindest auf der Kanzel, auf Gott beriefen, ebenso wie beide gern vernehmlich und selbstbewusst aus der Heiligen Schrift zitierten.
    Lincoln hielt sich mit Verweisen dieser Art eher zurück, ja, er bezeichnete in einer berühmt gewordenen Rede solche Anrufungen des Göttlichen als Fehler, weil sich der Mensch doch eher umgekehrt auf Gottes Seite schlagen müsse. Als er auf einer Versammlung von Christen in Chicago gedrängt wurde, umgehend eine Emanzipationserklärung zu verkünden, waren in seinen Augen noch immer beide Seiten vom Glauben gestützt; es sei, so Lincoln, keine »Zeit der Wunder, und wir können wohl nicht davon ausgehen, dass ich eine unmittelbare Offenbarung zu erwarten habe«. Mit dieser Antwort wich er der Forderung noch aus, doch als er dann den Mut aufbrachte, die Emanzipationserklärung abzugeben, ließ er die noch Unentschlossenen wissen, er habe sich selbst das Versprechen gegeben, es nur unter der Bedingung zu tun, dass Gott am Antietam den Unionstruppen den Sieg schenkte. In dieser Schlacht waren mehr Todesopfer auf amerikanischem Boden zu beklagen als in jeder Schlacht vorher und danach. Möglicherweise wollte Lincoln also dieses grässliche Gemetzel heiligen und rechtfertigen. Das wäre zwar ein durchaus hehres Ansinnen, doch nach dieser Logik hätte sich beim gleichen Gemetzel mit anderem Ausgang die Befreiung der Sklaven noch einmal hinausgezögert! Dazu kam, wie Lincoln bemerkte, dass die Rebellen »mit sehr viel größerer Ernsthaftigkeit beten als unsere Soldaten und erwarten, dass Gott ihrer Seite günstig gesinnt ist. Einer unserer Soldaten, der gefangen genommen wurde, berichtete, er habe noch nie etwas so Entmutigendes erlebt wie die offenkundige Ernsthaftigkeit derer, die er bei ihren Gebeten beobachtete.« Hätten die Konföderierten am Antietam etwas mehr Glück gehabt, so hätte sich der Präsident Gedanken darüber machen müssen, ob Gott den Kampf gegen die Sklaverei nicht völlig abgeschrieben hatte.
    Wir wissen nicht, ob Lincoln gläubig war. Er sprach gern vom allmächtigen Gott, trat aber keiner Kirche bei, und Kirchenvertreter sprachen sich gegen seine ersten Kandidaturen aus. Sein Freund Herndon wusste, dass er Paine, Volney und andere Freidenker sehr genau gelesen hatte, und gelangte zu dem Schluss, dass Lincoln insgeheim nicht an Gott glaubte. Das ist eher unwahrscheinlich. Genauso wenig kann man aber behaupten, dass er Christ war. Vieles spricht dafür, dass er von Zweifeln gepeinigt wurde und einen Hang zum Deismus hatte. Unabhängig davon lässt sich aber in der schwerwiegenden Frage der Sklavenbefreiung Folgendes feststellen: Nachdem die Religion die Sklaverei viele Jahrhunderte lang immer wieder sanktioniert und eine Entscheidung vertagt hatte, bis aus eigennützigen Gründen ein grauenhafter Krieg darüber ausbrach, gelang es ihr am Ende, den Schaden und das Elend, das sie angerichtet hatte, zumindest zu einem kleinen Teil wieder zurückzunehmen. [FUSSNOTE50]
    Dasselbe gilt für die Ära King. Nach dem Bürgerkrieg wurden die neuen Institutionen der Rassentrennung und der Diskriminierung von den Kirchen der Südstaaten wie ehedem

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