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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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monstruos« (»Der Schlaf der Vernunft gebiert Monster«): Der unvergängliche Francisco Goya hinterließ uns in der Reihe Los Caprichos unter diesem Titel eine Radierung, auf der ein schlummernder Mann von Fledermäusen, Eulen und anderen Erscheinungen der Dunkelheit geplagt wird. Doch außerordentlich viele Menschen scheinen der Ansicht zu sein, dass wir dem Verstand und dem Denkvermögen – die uns ja von unseren tierischen Verwandten unterscheiden – misstrauen, ja dass wir sie so weit als möglich dämpfen müssen. Die Suche nach dem Nirwana und die Auflösung des Intellektes halten an. Und jedes Mal blubbert es in der realen Welt wie Brausepulver.

    »Eins mit allem«, sagt der Buddhist zum Würstchenverkäufer. Der Buddhist gibt dem Mann für das gut gefüllte Brötchen einen Zwanzig-Dollar-Schein, bekommt aber nur einen Dollar Wechselgeld. Auf seine Nachfrage hin erfährt er, »alles wird eins«. Solche Phrasen sind ebenso leicht zu parodieren wie die der christlichen Missionare. In der alten anglikanischen Kathedrale von Kalkutta habe ich mir einmal die Statue von Bischof Reginald Heber angesehen. Für das Gesangsbuch der anglikanischen Kirche verfasste er Verse wie die folgenden:
    What though the tropic breezes
    Blow soft o’er Ceylon’s isle
    Where every prospect pleases
    And only man is vile
    What though with loving kindness
    The gifts of God are strown
    The heathen in his blindness
    Bows down to wood and stone.

    Wenn auch der Hauch der Tropen
    Weht über Ceylon her
    Wo jeder Anblick schön ist
    Und nur der Mensch vulgär,
    Wenn auch mit lieber Güte
    Sich Gottes Gaben verstreu’n
    Der Heide, blind sein Wesen,
    Kniet vor Holz und Stein.
    Es ist sicher mit eine Reaktion auf die herablassende Art törichter Kolonialisten, wenn sich viele Menschen aus dem Westen den anscheinend sehr verführerischen fernöstlichen Religionen zuwenden. Sri Lanka, der moderne Name für die wunderschöne Insel Ceylon, ist in der Tat ein zauberhafter Ort. Seine Bewohner sind bekannt für ihre Freundlichkeit und Großzügigkeit – wie konnte Bischof Heber sie nur als vulgär bezeichnen? Heute ist das Land Sri Lanka jedoch von Gewalt und Repression zugrunde gerichtet, und die widerstreitenden Kräfte sind in erster Linie Buddhisten und Hindus. Das Problem beginnt bereits mit dem Landesnamen: »Lanka« ist der alte singhalesische Name für die Insel, und das Wörtchen »Sri« bedeutet einfach heilig, im buddhistischen Sinne des Wortes. Diese postkoloniale Neubenennung führte dazu, dass sich die Tamilen, die vorwiegend Hindus sind, ausgeschlossen fühlten – sie würden ihre Heimat lieber »Eelam« nennen. Es dauerte nicht lange, bis dieser ethnische Tribalismus, befeuert von der Religion, die Gesellschaft zersetzte. Ist der Unmut der tamilischen Bevölkerung gegenüber der Zentralregierung noch durchaus verständlich, halte ich es für unverzeihlich, dass die Führung der Partisanen lange vor der Hisbollah und al Kaida die abscheuliche Taktik des Selbstmordattentats erprobte. Wobei diese barbarische Methode, mittels deren die Tamilen auch einen amtierenden indischen Ministerpräsidenten umbrachten, die Pogrome der Buddhisten gegen Tamilen ebenso wenig rechtfertigt wie die Ermordung des ersten gewählten Präsidenten eines unabhängigen Sri Lanka durch einen buddhistischen Priester.
    Einige Leser dieses Buches werden möglicherweise schockiert zur Kenntnis nehmen, dass es hinduistische und buddhistische Mörder und Sadisten überhaupt gibt. Haben wir nicht die vage Vorstellung, dass die Bewohner des Fernen Ostens, die sich der Kontemplation, der Meditation und einer vegetarischen Diät verschrieben haben, immun sind gegen solche Versuchungen? Man kann argumentieren, dass der Buddhismus keine »Religion« ist, wie wir den Begriff verstehen. Dennoch heißt es, der Vollkommene habe einen seiner Zähne in Sri Lanka gelassen, und ich habe einmal eine jener seltenen Zeremonien erlebt, in denen die Priester das in einem goldenen Kästchen verwahrte Objekt öffentlich zur Schau stellen. Bischof Heber erwähnt in seiner dümmlichen Hymne keine Knochen oder Zähne, vielleicht weil auch die Christen gern zu den Knochen angeblicher Heiliger pilgern, die sie als grausige Reliquien in ihren Kirchen und Kathedralen aufbewahren. Wie dem auch sei, mich überkam bei der Zahnzeremonie jedenfalls kein Gefühl von Frieden und innerem Glück. Im Gegenteil: Mir wurde bewusst, dass ich, wenn ich Tamile wäre, gute Chancen hätte, verstümmelt zu

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