Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
die Annahme dessen, was zu beweisen ist. So folgt einer kühnen Behauptung das Wort »deshalb«, als wären mit dieser Behauptung die Anforderungen der Logik bereits vollständig erfüllt. Auch alle Aussagen des Dalai Lama, der zwar nicht für das kaiserliche Abschlachten von Menschen eintritt, aber vernehmlich die Atomtests der indischen Regierung gutgeheißen hat, basieren auf solchen unlogischen Folgerungen. Wissenschaftler haben einen Begriff für Hypothesen, die nicht einmal dazu taugen, aus eigenen Fehlern zu lernen. Sie bezeichnen sie als »not even wrong«, nicht einmal falsch. Der sogenannte spirituelle Diskurs gehört überwiegend in diese Kategorie.
Weiter fällt auf, dass sich aus Sicht dieser Schule des Buddhismus andere, nicht weniger »kontemplative« Schulen des Buddhismus im Irrtum befinden. Nichts anderes erwartet der Religionsanthropologe von einem erfundenen Konstrukt, das zu einer Spaltung geradezu verdammt ist. Doch wie könnte ein Anhänger des Buddha Shakyamuni beweisen, dass japanische Buddhisten ihrerseits auf dem Holzweg sind? Sicher nicht, indem er Argumente oder Beweise anführt, die der »vorzüglichen Wahrheit des Lotus-Sutra« fremd wären.
Als die japanischen Generäle ihre Zen-Zombies gefügig gemacht und mobilisiert hatten, spitzte sich die Lage weiter zu. Das chinesische Festland verwandelte sich in ein gigantisches Schlachtfeld, und alle größeren Sekten des japanischen Buddhismus gaben die folgende gemeinsame Stellungnahme ab:
In Ehrerbietung gegenüber der kaiserlichen Politik zum Schutze des Orients übernehmen die Untertanen des japanischen Reiches die Verantwortung für das Schicksal einer Milliarde farbiger Menschen. ...Wir glauben, es ist an der Zeit für eine wichtige Veränderung im Lauf der Menschheitsgeschichte, in deren Mittelpunkt bisher die weiße Rasse stand.
Hier spiegelt sich die Haltung des Shinto wider – ebenfalls eine staatlich unterstützte Scheinreligion – nach der die japanischen Soldaten in Wahrheit für die Sache der asiatischen Unabhängigkeit starben. Jedes Jahr aufs Neue wird darüber gestritten, ob die politische und geistliche Führung Japans den Yakasuni-Schrein besuchen sollte, mit dem offiziell der Armee von Kaiser Hirohito gedacht wird. Jedes Jahr wenden Millionen von Chinesen, Koreanern und Burmesen ein, Japan sei kein Feind des westlichen Imperialismus in Fernost, sondern eine neuere und bösartigere Form des Imperialismus gewesen, und der Yakasuni-Schrein sei ein Ort des Schreckens. Interessanterweise betrachteten die japanischen Buddhisten damals die Mitgliedschaft ihres Landes in der nationalsozialistisch-faschistischen Achse als Manifestation der Befreiungstheologie. Die gemeinsame buddhistische Führung formulierte es damals so:
Um in Ostasien ewigen Frieden zu stiften, sind wir in der Anwendung der unermesslichen Güte und des allumfassenden Mitgefühls des Buddhismus manchmal nachgiebig und in anderen Fällen sehr bestimmt. In der augenblicklichen Situation bleibt uns nichts anderes übrig, als die gütige Bestimmtheit der Maxime »einen töten, auf dass viele leben werden« (issatsu tasho) anzuwenden. Dem kann der Mahayana-Buddhismus nur mit größter Entschiedenheit zustimmen.
Fürsprecher des Heiligen Krieges oder des Kreuzzuges hätten es nicht besser formulieren können. Die Passage mit dem »ewigen Frieden« ist besonders gut. Gegen Ende des schrecklichen Krieges, den Japan begonnen hatte, übernahmen buddhistische Geistliche und Shinto-Priester die Aufgabe, die fanatischen Selbstmordbomber oder Kamikaze (»Heiliger Wind«) zu rekrutieren und auszubilden, wobei sie ihnen versicherten, der Kaiser sei ein »das goldene Rad drehender heiliger König«, eine der vier Manifestationen des idealen buddhistischen Monarchen, sowie ein Tathagata, also ein gänzlich erleuchtetes Wesen der materiellen Welt. Und da Zen doch Leben und Tod gleich behandle, warum solle man dann nicht die Sorgen dieser Welt fahren lassen und sich einem mörderischen Diktator zu Füßen werfen?
Dieser grausige Fall stützt auch meine Behauptung, nach der der »Glaube« ganz allgemein als Bedrohung betrachtet werden muss. Es sollte doch möglich sein, dass ich in meinem Haus meine Studien und Forschungen betreibe und der Buddhist nebenan sein Rad dreht. Doch die Verachtung für den Intellekt kann einfach nicht passiv bleiben. Zweierlei kann geschehen: Unschuldige und leichtgläubige Menschen lassen sich von Menschen verführen, die weniger gewissenhaft
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