Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
werden.
Der Mensch ist eine Spezies ohne größere Variationen, und man braucht sich nicht einzubilden, dass eine Reise nach, sagen wir, Tibet in eine völlig neue Welt der Harmonie mit der Natur oder der Ewigkeit führte. Der Dalai Lama beispielsweise ist für einen Säkularisten ausgesprochen leicht zu durchschauen. Wie ein mittelalterlicher Kronprinz fordert er nicht nur die Unabhängigkeit Tibets von der chinesischen Hegemonie – was ein vollkommen verständlicher Anspruch sein mag –, sondern macht auch geltend, dass er der vom Himmel selbst ernannte König sei. Wie praktisch! Abweichende Sekten innerhalb seines Glaubens werden verfolgt; seine Einmannherrschaft in einer indischen Enklave ist absolut. Er erhebt absurde Vorschriften zu Sexualität und Ernährung, und wenn er seine Geldgeber aus Hollywood besucht, salbt er große Stifter wie Steven Seagal und Richard Gere zu Heiligen. Nicht einmal Mr. Gere ließ es übrigens völlig kalt, als Mr. Seagal als Tulku eingesetzt wurde, als Person großer Erleuchtung – es ist sicher ärgerlich, bei so einer spirituellen Auktion überboten zu werden. Ich gebe gern zu, dass der derzeitige Dalai oder oberste Lama durchaus Charme und Ausstrahlung hat, so wie ich der derzeitigen Königin von England größere menschliche Integrität zugestehe als den meisten ihrer Vorgänger. Doch das entwertet nicht die Kritik an der Erbmonarchie. Die ersten ausländischen Besucher in Tibet waren geradezu entsetzt von der Feudalherrschaft und den schrecklichen Strafen, mit denen die Bevölkerung von der parasitären Klosterelite in permanenter Leibeigenschaft gehalten wurde.
Wie lässt sich mit einfachen Mitteln beweisen, dass der »fernöstliche« Glaube auf den gleichen nicht verifizierbaren Annahmen basiert wie »westliche« Religionen? Hier eine klare Aussage Gudos, eines sehr bekannten japanischen Buddhisten der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts:
Als Vertreter des Buddhismus lehre ich, dass »alle fühlenden Wesen die Buddha-Natur haben« und dass »innerhalb des Dharma Gleichheit besteht, weshalb es keine Überlegenheit und keine Minderwertigkeit gibt«. Außerdem lehre ich, dass »alle fühlenden Wesen meine Kinder sind«. Ich habe festgestellt, dass diese goldenen Worte, die ich als die Grundlage meines Glaubens ansehe, in völligem Einklang mit den Prinzipien des Sozialismus stehen. Auf diese Weise bin ich zu einem Anhänger des Sozialismus geworden.
Da haben wir sie wieder: die grundlose Annahme, dass eine nicht näher definierte externe »Macht« über einen eigenen Geist verfügt, und die schwache, aber bedrohliche Vorstellung, dass jeder, der anderer Meinung ist, ein Gegner des heiligen Willens ist. Die Passage stammt aus Brian Victorias Buch Zen, Nationalismus und Krieg, in dem Victoria beschreibt, wie die Mehrheit der japanischen Buddhisten zu dem Schluss kam, dass Gudo im Allgemeinen Recht, im Besonderen aber Unrecht hatte. [FUSSNOTE54]
Die Menschen galten tatsächlich als Kinder, doch was der Buddha und das Dharma von ihnen verlangte, war nicht Sozialismus, sondern Faschismus.
Mr. Victoria ist Anhänger des Buddhismus und behauptet – das sei ihm unbenommen –, auch Priester zu sein. Er nimmt seinen Glauben gewiss sehr ernst und weiß viel über Japan und die Japaner. In besagter Studie zeigt er auf, dass der japanische Buddhismus zum loyalen Diener, ja zum Fürsprecher des Imperialismus und des Massenmordes wurde, und dies nicht so sehr, weil er japanisch, sondern weil er buddhistisch war. Im Jahr 1938 gründeten führende Mitglieder der Nichiren-Sekte eine Gruppe, die sich dem »Buddhismus des Kaiserlichen Weges« verschrieben hatte. Sie erklärte:
Der »Buddhismus des Kaiserlichen Weges« nutzt die vorzügliche Wahrheit des Lotus-Sutra, um die erhabene Essenz der nationalen Politik zu offenbaren. Diese Lehre erhöht den wahren Geist des Mahayana-Buddhismus und unterstützt ehrerbietig das Wirken des Kaisers. Dies meinte der große Gründer unserer Gemeinschaft, der heilige Nichiren, als er auf die göttliche Einheit des Herrschers und des Buddha hinwies. ...Deshalb ist das wichtigste Verehrungsobjekt des »Buddhismus des Kaiserlichen Weges« nicht Buddha Shakyamuni, der in Indien lebte, sondern seine Majestät, der Kaiser, dessen Traditionslinie sich über Zehntausende von Generationen erstreckt.
Ergüsse wie diese entziehen sich, so grauenhaft sie sein mögen, jeglicher Kritik. Wie die meisten Glaubensbekenntnisse stützen sie sich lediglich auf
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