Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
hin zur Geburt Isaaks durch Sara, als Abraham hundert Jahre alt war, und vielen anderen glaubhaften und unglaubwürdigen kleinbäuerlichen Sünden und Missetaten. Abraham, der womöglich mit einem unzureichenden Gewissen ausgestattet war, in jedem Fall aber auf Gottes Befehl zu handeln glaubte, erklärte sich bereit, seinen Sohn zu ermorden. Er stapelte das Feuerholz, legte seinen gefesselten Sohn darauf – womit er bewies, dass er mit der Prozedur vertraut war – und nahm das Messer zur Hand, um das Kind wie ein Tier zu töten. Im allerletzten Moment wurde ihm Einhalt geboten, und zwar nicht von Gott, sondern von einem Engel. Für seine unerschütterliche Bereitschaft, als Buße für seine eigenen Vergehen ein unschuldiges Kind zu ermorden, erhielt Abraham himmlisches Lob. Und als Belohnung für seine Treue wurde ihm eine große Nachkommenschaft versprochen.
Bald darauf – die Genesis lässt Zeitspannen gern etwas im Unklaren – verstarb Abrahams Frau Sara im Alter von hundertsiebenundzwanzig Jahren. Als pflichtgetreuer Ehemann ging er auf die Suche nach einer Begräbnisstätte und fand sie in einer Höhle in der Stadt Hebron. Abraham zeugte nach Saras Tod sechs weitere Kinder, erreichte das ansehnliche Alter von hundertsiebenundfünfzig Jahren und wurde nach seinem Tod in derselben Höhle bestattet. Bis zum heutigen Tage bringen religiöse Menschen einander und des anderen Kinder um, weil sie auf das ausschließliche Besitzrecht dieses nicht eindeutig identifizierbaren und auffindbaren Lochs im Berg pochen.
Während der arabischen Revolte des Jahres 1929 wurden bei einem schrecklichen Massaker an jüdischen Bewohnern Hebrons siebenundsechzig Juden abgeschlachtet. Viele waren Lubawitscher, die alle Nichtjuden als rassisch minderwertig betrachten und die nach Hebron gezogen waren, weil sie an den Genesis-Mythos glaubten – was das Pogrom nicht entschuldigt. Die Stadt, die bis dahin jenseits der israelischen Grenze lag, wurde 1967 unter großem Jubel von der Armee Israels eingenommen und der besetzten Westbank zugeschlagen. Jüdische Siedler errichteten unter der Führung eines besonders aggressiven und unausstehlichen Rabbis namens Moshe Levinger nach ihrer »Rückkehr« oberhalb Hebrons eine befestigte Siedlung namens Kiryat Arba sowie kleinere Enklaven in der Stadt. Die Muslime in der überwiegend arabischen Bevölkerung beharrten weiter darauf, dass der ruhmreiche Abraham zwar bereit gewesen war, seinen Sohn zu ermorden, allerdings nicht für die Juden, sondern für ihre Religion. Das ist unter dem Begriff »Unterwerfung« zu verstehen. Als ich die Stadt Hebron besuchte, stellte ich fest, dass die »Höhle des Patriarchen« oder »Höhle von Machpela« zwei Eingänge hat und zwei getrennte Andachtsräume für die Krieg führenden Parteien, die beide die Gräueltat für sich beanspruchen.
Kurz bevor ich dort eintraf, war wieder eine Gräueltat verübt worden. Ein israelischer Fanatiker namens Dr. Baruch Goldstein hatte die Höhle betreten, die automatische Waffe, die er, wie es sein Recht war, bei sich führte, von der Schulter genommen und das Feuer auf betende Muslime eröffnet. Er brachte neunundzwanzig Menschen um und verletzte zahlreiche weitere, bevor er überwältigt und erschlagen wurde. Wie sich herausstellte, war Dr. Goldstein schon vorher als gefährlich bekannt gewesen. Als Militärarzt in der israelischen Armee hatte er sich geweigert, insbesondere am Sabbat nichtjüdische Patienten, etwa israelische Araber, zu behandeln. Diese Haltung entsprach durchaus dem jüdischen Gesetz, wie viele israelische Religionsgerichte bestätigten. Man hätte den unmenschlichen Mörder also leicht daran erkennen können, dass er sich der buchstabengetreuen Einhaltung der göttlichen Vorschriften verschrieben hatte. Strenggläubige Juden haben seither in seinem Namen mehrere Gedenkstätten errichtet, und nicht alle Rabbiner, die Goldsteins Aktionen verurteilten, taten dies klar und unzweifelhaft. Der Fluch Abrahams vergiftet weiter Hebron, doch der religiöse Freibrief für das Blutopfer vergiftet unsere gesamte Zivilisation.
das sühneopfer
Menschenopfer wie bei den Azteken und ähnliche abschreckende Zeremonien waren in der Vorgeschichte recht verbreitet und dienten der Besänftigung. Die Opferung einer jungen Frau, eines Kindes oder eines Gefangenen sollte die Götter versöhnlich stimmen – nicht gerade eine gute Werbung für die moralische Grundausstattung der Religion. Davon abzugrenzen ist das
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